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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerry
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kühl.
    Karl überlegte nicht lang. Um Herrn Trutz aus den Klauen der Hexe zu befreien, musste er sich etwas einfallen lassen. Solange er ihre Tücken und vor allem ihren schwachen Punkt nicht kannte, konnte er sie nicht überlisten. Nur so, davon war er überzeugt, würde er sich und den Buchhändler hier herausschaffen. Er musste auf Zeit spielen. »Ich bleibe.«
    »Na schön«, beschied ihm die Hexe. »Dann sind wir von jetzt an also drei.«
        
    ∞
      
    Die Erbsensuppe hatte erwartungsgemäß grauenhaft geschmeckt. Herr Trutz schien daran indes seine helle Freude gehabt zu haben. Behaglich räkelte er sich wieder in seinem Ohrenbackensessel, nachdem er von irgendwoher frisches Feuerholz geholt hatte. Er ist ihr Sklave, dachte Karl.
    »In letzter Zeit ist es recht frisch geworden«, begann der Alte ein Gespräch. Seine Ungehaltenheit über Karls ungehobelten Auftritt schien er schon wieder vergessen zu haben.
    »Vielleicht hängt es mit den verschwindenden Büchern zusammen«, antwortete Karl hintersinnig.
    »Was für Bücher?«
    »Aus der Phantásischen Bibliothek.«
    »Du meine Güte! Was ist denn das?«
    »Dort werden ungeschriebene und verschollene Bücher aufbewahrt.«
    »Das ist ja interessant! Und deshalb ist es neuerdings so kalt?«
    Karl stöhnte. »Können Sie sich noch erinnern, wie Sie hierher gekommen sind?«
    »Marie hat mich zu dem Haus geführt. Liegt etwas abgelegen. Hat mir aber trotzdem auf Anhieb gefallen.« Herr Trutz sog an der Pfeife, deren Tabakvorrat unerschöpflich schien.
    Karl runzelte die Stirn. »Marie?«
    »Meine liebe Frau.«
    »Sie sprechen doch nicht etwa von der Hexe, die da gerade in der Küche den Abwasch macht.«
    »Hüten Sie Ihre Zunge, junger Mann! Marie mag ja nicht mehr die Jüngste sein, aber sie ist alles andere als eine Hexe. Sie verwöhnt mich, wie ein Mann es sich nur wünschen kann.«
    »Ein Pascha, meinen Sie.«
    »Das habe ich gehört.«
    »Entschuldigung. Ist mir so rausgerutscht.«
    »Stimmt aber nicht. Marie und ich ergänzen uns aufs Vollkommenste. Beim Abwasch wechseln wir uns übrigens ab.«
    Karl schüttelte den Kopf. Er konnte sich noch gut erinnern, wie Herr Trutz – vor zwei Tagen? – von Marie, seiner »lieben Frau«, gesprochen hatte. Sie sei gestorben, und er habe damals aus einem Buch neue Kraft geschöpft. Der Alte war offensichtlich seines Verstandes beraubt. Und Hallúzina ist die Diebin. Karl nahm sich vor, dem alten Narren die Augen zu öffnen. »Erzählen Sie mir ein bisschen von Ihrer Frau, Herr Trutz.«
    Das tat er dann auch. Der Buchhändler sprach von dem liebreizenden Wesen seiner Marie. Von jeher nenne sie ihn ihren Schmusibär. Inzwischen habe er seinen richtigen Namen vergessen. Marie sei gütig, zuvorkommend, langmütig, eine hervorragende Köchin, klug, zum Streiten völlig ungeeignet, belesen, anschmiegsam, humorvoll, graziös, noch im Alter hübsch, strahlend von einer inneren zeitlosen Schönheit und lieb.
    Karl konnte nicht glauben, dass Herr Trutz von derselben Frau sprach, mit der er eben zu Abend gegessen hatte. »Ist Ihnen je die dicke Warze auf ihrer Hakennase aufgefallen?« fragte er.
    Der Alte sah ihn entsetzt an. »Ich muss doch sehr bitten, junger Mann. Fangen Sie schon wieder damit an?«
    »Aber sie hat eine Warze.«
    »Hat sie nicht.«
    »Hat sie doch.«
    Die Katze kam aus der Küche geflogen und unterbrach durch ihr Erscheinen die Meinungsverschiedenheit. Sie landete auf der Sessellehne und trillerte eine Melodie, die Karl völlig unbekannt war. Herr Trutz hielt dem Tier den Finger hin. »Na, Mausi, hat Frauchen dir schon dein Fresserchen gegeben?«
    Karl stöhnte leise, aber das Geräusch reichte aus, um Mausi zu verscheuchen. Quirlig wie ein junger Kanarienvogel schwirrte sie davon.
    »Erzählen Sie mir doch ein wenig von Ihrer Familie«, sagte Herr Trutz, als hätte es nie ein Streitgespräch über die Nase seiner angeblichen Frau gegeben.
    »Ich bin unverheiratet«, antwortete Karl knapp.
    »Und Eltern haben Sie auch keine?«
    Karl schluckte eine bissige Bemerkung herunter. »Meine Mutter ist gestorben, als ich noch ein kleiner Junge war. Ich kann mich nicht mehr richtig an sie erinnern.«
    »Wie tragisch! Und Ihr Vater.«
    Karl zuckte die Achseln und gab ein sehr kurzes »Hm« von sich.
    »Wie darf ich das verstehen? Sie Armer sind doch nicht etwa eine Vollwaise?«
    »Inzwischen schon.«
    »Also, sehr gesprächig sind Sie nicht, junger Mann. Sagen Sie mir ruhig, was Ihr Herz

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