Isegrim
schrecklich genug.«
»Aber ich habe mir immer noch Hoffnungen gemacht.«
»Das ist nicht dein Ernst, Jola.«
Tränen schieÃen mir in die Augen. Was ist bloà los mit mir â das kann doch nicht nur an diesem Schattentheater liegen? Ich habe den bitteren Geschmack von Abschied im Mund. Ich muss mich von meiner Hoffnung verabschieden und merke erst jetzt, wo ich es zum ersten Mal ausspreche, wie wichtig diese Hoffnung all die Jahre für mich war. Und ich fühle, dass es gleichzeitig der Abschied von meiner Kindheit ist.
Kai nimmt mich in die Arme. Seine kleinen Küsse auf meiner Wange und meinen Augen sind tröstlich. Als ich zehn Minuten später aufbreche, hat es angefangen zu regnen. Kai, mein Held, spannt einen Regenschirm auf und bringt mich nach Hause.
Die nächsten drei Tage versinken im Regen. Der Himmel lastet grau und schwer wie Zement und es hört einfach nicht auf, der Wasservorrat der Wolken scheint unerschöpflich. Eigentlich mag ich das Geräusch des Regens, das an- und abschwellende Rauschen in den Blättern des Kirschbaumes, das Drippeln auf dem Schuppendach, der Sturzbach im Abflussrohr. Aber spätestens nach einem Tag beginnt mir das alles auf die Nerven zu gehen und ich habe das Gefühl, auf der Stelle durchzudrehen, wenn ich noch länger drinnen hocke. Sehnsüchtig stehe ich auf meinem Balkon, halte Ausschau nach einer Lücke in der grauen Wolkendecke, nach einem Fitzelchen Blau.
Am Mittwoch haben wir zwei Stunden Schulausfall (es herrscht akuter Lehrermangel an unserer Schule) und wir vier halten eine Generalprobe für unsere Powerpoint-Präsentation ab. Donnerstagmorgen hängen zwar immer noch düstere Wolken am Himmel, aber es regnet nicht mehr. Ãberall im Dorf stehen groÃe Pfützen, in denen sich das Grau des Himmels spiegelt.
Obwohl wir gut vorbereitet sind, haben Kai, Saskia und ich Lampenfieber wie verrückt, was sich in einer Art Stimmungslähmung auswirkt. Wir brüten stumm vor uns hin, Max ist der Einzige, der im Bus wild drauflosplappert â wie immer.
»Ihr schafft das schon«, sagt er, als wir auf dem Schulhof auseinandergehen. »Die Arbeit ist wirklich super.« Er schlurft davon, winkt uns und hält noch einmal den Daumen nach oben.
Verwundert schaue ich Saskia an. »Hat er etwa unsere Arbeit gelesen? Die ganzen fünfzig Seiten?«
»Hat er.« Sie grinst. »Mein Bruderherz ist ein Ass in Deutsch und Geschichte und ein richtiger Schatz.«
Unsere Projektprüfung ist gleich in der ersten Stunde. Auch Tilman ist sichtlich aufgeregt. Nach unserem DreiÃig-Minuten-Auftritt stehen wir wieder im Schulflur und warten auf die Bewertung der Lehrer. Drei Prüfer haben vor uns gesessen. Herr Neudert, Frau Hitzig und Uta Geppert, geborene Schlotter â die Tochter der Wirtsleute vom »Jägerhof«. Uta ist angehende Deutschlehrerin und seit Beginn des Schuljahres an unserem Gymnasium im Referendariat.
»Ist doch prima gelaufen.« Tilman hat riesige SchweiÃflecken unter den Armen, er lehnt mit dem Rücken an der Wand.
»Bis auf deinen Aussetzer am Anfang«, brummt Kai.
Als Tilman dran war, hat er zuerst den Mund nicht aufbekommen. Aber nach einem holprigen Start lief es dann doch noch ganz gut.
»Hey«, ich hebe meine Hände, »freut euch einfach, wir haben es hinter uns.«
»Ihr habt alle viel länger geredet als ich.« Saskia macht ihr Schmollgesicht.
Soll das etwa ein versteckter Vorwurf sein, weil ich Marie Scherers Zeitzeugenbericht vorgetragen habe, obwohl es ihre Idee war? Ich sage nichts. Alles war so abgesprochen gewesen.
»Wird schon klargehen.« Tilman stöÃt sich von der Wand ab und beginnt, unruhig im Flur hin und her zu laufen.
Es klingelt. Nur Sekunden später springen die Türen der Klassenräume auf und der Geräuschpegel im Schulflur steigt schlagartig an. Am liebsten möchte ich mir die Ohren zuhalten.
SchlieÃlich öffnet sich auch unsere Tür und wir werden von Uta hereingeholt. Vierzehn Punkte, das ist eine glatte Eins. Bingo. Den einen Punkt Abzug gibt es tatsächlich für die etwas ungleich gelagerte Aufgabenverteilung. Dafür ein dickes Lob von Frau Hitzig für die Geschichte vom ungelösten Kriminalfall zu Kriegsende. Es sei wichtig, dass solche Geschehnisse nicht in Vergessenheit geraten.
Kleiner Seitenhieb von Herrn Neudert: »Hat Ihre Mutter die Arbeit lektoriert, Fräulein
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