Isenhart
willen ein langes Leben wünschen.
Walther und Günther mussten sich nicht über die Schritte austauschen, die zu unternehmen waren. Sie schienten Henning das rechte Bein, das zwei Brüche aufwies, und hießen Sophia, die Bruchstellen mit frischem Schnee zu kühlen, um den unvermeidlichen Schwellungen entgegenzuwirken.
Der offene Bruch am linken Bein dagegen erforderte ihr ganzes Geschick. Nerven, Muskeln und Sehnen waren zum Teil gedehnt, überwiegend gerissen. Unentwegt quoll frisches Blut aus der Wunde. Der Winter verschonte sie vor den Fliegen und ihren Eiern, aber als Günther Hand an das Bein legte, brüllte sein Sohn vor Schmerzen auf.
»Was für einen Unsinn habt ihr nur getrieben«, tadelte Günther ihn, um mit dieser Bemerkung von seiner tiefen Bestürzung abzulenken.
Für den Eingriff mit Nadel, Faden und Knochenheber wusste Günther von der Braake keine rechte Dosis. Zwar trug er Fliegenpilz und Schierling bei sich, aber da es um seinen Sohn ging, zögerte er. Nur ein Knollenstück zu viel war in der Lage, Henning den Verstand zu rauben oder ihn gar zu töten.
»Schnaps«, schlug Walther von Ascisberg vor. Günther und er warfen sich über den sich vor Schmerzen windenden Leib einen Blick zu.»Zolner hat Selbstgebrannten, der hart ist, aber nicht blind macht«, fügte Walther hinzu. Also pressten sie Henning einen hölzernen Trichter zwischen die Zähne und gossen ihm einen Dreiviertelliter reinen Schnaps in die Speiseröhre, und der Schluckreflex erledigte den Rest. Binnen einer Viertelstunde war Henning ohnmächtig.
Die beiden Männer operierten drei Stunden lang. Zolner reichte Talgkerzen, Sophia hielt Hennings Kopf, und Isenhart assistierte, er säuberte und reinigte das Besteck. Nach zwei Stunden, als sie die Blutung gestillt hatten und den Knochen richteten, kam Henning zu sich – und eilends in den zweifelhaften Genuss eines weiteren halben Liters, der ihn wunschgemäß binnen weniger Augenblicke erneut außer Gefecht setzte.
Aus Hennings Husten entnahm Isenhart, wie schwer es dem liegenden Freund fiel, den hochkonzentrierten Gebrannten an der Luftröhre vorbeizuschleusen.
Hennings Bemühungen, unter denen er sich neben den Schmerzen, die sein offener Bruch für ihn bereithielt, quälte, führten Isenhart zu der Frage nach der Vollkommenheit und Unfehlbarkeit ihres Schöpfers. Das Zusammenlegen von Luft- und Speiseröhre widersprach jeder Vollkommenheit. Wenn ihre Anlage dem göttlichen Funken entsprang, schloss Isenhart, konnte der Funke nicht allzu hell gewesen sein.
Nachdem sie den offenen Bruch vernäht hatten, banden sie Hennings Beine aneinander, um sie ruhig zu stellen. Während Walther nach Cecilia sehen wollte, fanden die anderen sich um Henning zusammen und beteten für ihn, ganz so, wie sie es damals in Bruchsal für Konrad getan hatten.
Isenhart, der die Hände faltete, war unschlüssig, ob er das Wort, die Bitte tatsächlich an den Herrgott richten sollte, doch er wurde einer Entscheidung enthoben, als ein panischer Schrei aus dem Nebenraum ihrem Vorhaben ein vorzeitiges Ende bereitete.
Wie sich herausstellte, war Walther sich seines Anblickes nicht bewusst gewesen. Hände, Kleidung, ja selbst die Stirn, von der er den Schweiß gewischt hatte, waren blutverschmiert. Er sah aus wie der Schnitter höchstpersönlich, und für den hatte Cecilia ihn auch gehalten, als sie aus ihrem Fiebertraum erwachte und Gevatter Tod über sich gebeugt vorfand.
[Menü]
22.
alther von Ascisberg war davon überzeugt, dass einen letztlich jede Frage einholte, ganz gleich wie lange oder wie schnell man vor ihr davongelaufen war.
Er studierte in seinem Arbeitszimmer eine eigene Aufzeichnung, als Isenhart und Konrad eintraten. Der Stammhalter des Hauses Laurin schloss die Tür hinter ihnen.
Isenhart sah seinem alten Lehrer in die Augen. Es brauchte kein Wort, Walther wusste, dass der Moment gekommen war, vor dem er ein halbes Leben lang davongelaufen war. Wieder und wieder hatte er ihn umschifft, war ihm auf diese und jene Weise ausgewichen und sah sich jetzt mit dem Jungen, den er gleichsam getötet und wieder zum Leben erweckt hatte, konfrontiert.
Er wusste, Isenhart würde diesen Raum ohne eine Antwort nicht wieder verlassen.
Hennings subkutane Schwellungen hatten nachgelassen und mit ihnen die Sorge um sein Leben – die alle bis auf Sophia umgetrieben hatte, denn ihre Träume hatten ihr verraten, dass Hennings Zeit noch nicht gekommen war.
»Gibt es Komplikationen?«, fragte Walther,
Weitere Kostenlose Bücher