Isenhart
alles in Butter?«
»Nein«, sagte Isenhart ruhig, er sah dem Freund in die Augen, und Konrad musste zurückdenken bis zum Tod seiner Schwester, um sich einer ähnlichen Traurigkeit Isenharts zu entsinnen, »nein, es ist nichts in Butter. Tu mir den Gefallen und sag das nie wieder.«
Konrad von Laurin begriff seinen Fehler, er beeilte sich zu nicken. »Was kann ich tun?«, fragte er.
»Such Würmer«, antwortete Isenhart mit brüchiger Stimme.
Sie alle begaben sich auf die Knie und formten mit ihren Fingern Rechen, mit denen sie durch den feuchten Ufersand fuhren und Würmer an die Oberfläche zwangen, mit denen sie Gweg fütterten, der mittlerweile jede Gegenwehr aufgegeben hatte und sich in sein Schicksal gefügt hatte.
Nach dem sechsten Wurm hielt Gweg den Schnabel eisern geschlossen. Isenhart fuhr mit dem Finger in die Strömung, um Gweg von den Wassertropfen trinken zu lassen, die ihm über die Fingerglieder liefen, aber der Kolkrabe starrte ihn nur stumm an.
Es war so weit. Isenhart begriff, dass es viel weniger Mut bedurfte, einen Feind zu töten, als einen guten Freund zu erlösen. Mit der Rechten umschloss er Gwegs Kopf, er ermaß all die ungeflogenen Meilen, die zu erkunden der Kolkrabe noch in der Lagegewesen wäre, er ermaß den Verlust, den er der Welt aus Erbarmen beizubringen gezwungen war, bevor er Gweg mit einer schnellen Drehung seiner Hand das Genick brach.
Das Knacken ertönte ganz leise, voller Haltung, ganz so, als wolle es diesem Tierleben einen stimmigen, also würdevollen Abschluss verleihen.
Isenhart bettete den kleinen Körper in den Sand, Dolph und Unnaba stiegen hinauf, bis sie eine günstige Thermik erwischten, die sie davontrug. Weit, weit weg. Es war das letzte Mal, dass Isenhart oder ein anderer Bewohner Heiligsters die beiden sah. Sie sollten nie mehr an diesen Ort zurückkehren.
»Wer hat ihm das angetan?«, fragte eine Stimme hinter Isenhart. Er wandte sich um. Hieronymus ging neben dem toten Kolkraben auf die Knie und begann bitterlich zu weinen, und als Isenhart sah, wie der Körper des alternden Mannes vom Schluchzen hin und her gerissen wurde, verflüchtigte sich sein Zorn, und auch er weinte um den schwarzen Vogel.
Das alles ereignete sich im Sommer 1200.
Als Sophia und Isenhart Jahre zuvor als Paar nach Heiligster zurückgekehrt waren, waren Marie und Konrad ebenso erleichtert wie dankbar gewesen. Die Braut Christi war heimgekehrt. Nur das Antlitz von Vater Hieronymus verfestigte sich zu Stein, und erst, als sie ihm versicherten, von ihm getraut werden zu wollen, brach sich ein kantiges Lächeln den Weg.
Am nächsten Morgen lag er neben einem zerborstenen Holzeimer, den Blick ohne jede Teilnahme an dieser Welt an einen weit entfernten Punkt gerichtet, weißen Schaum vor dem Mund und die Arme merkwürdig verrenkt, die Hände waren bis zum Anschlag nach innen gebogen, die Finger verkrampft.
Isenhart stieß auf ihn, als er frühmorgens vor die Hütte trat, um frisches Wasser zu holen.
»Vater«, rief er Hieronymus an und schüttelte ihn vorsichtig. Doch der Angesprochene zeigte keinerlei Regung. Isenhart erfasste intuitiv den Ernst der Situation, aber er wusste nicht, was zu tun war. »Vater Hieronymus!«
Der Geistliche zuckte nicht einmal mit den Wimpern. Doch Isenharts Schrei sorgte für Aufruhr in Heiligster, Konrad und Marie stürzten gleichzeitig aus der Hütte, Konrad trug Sigimund. Gweg flatterte heran, zog einen Bogen und setzte sich auf einen Ast, um das Geschehen von dort aus zu beobachten.
Konrad beugte sich zu Hieronymus hinab, setzte Sigimund ab – »Warte da, du Knirps« – und zwang den Geistlichen mit all seiner Kraft auf die Beine, doch Marie schüttelte den Kopf.
»Wir müssen ihn baden – schnell. Und das Wasser mit Alaun und Asche mischen.«
»Wieso?«, fragte Sophia, die nun auch zu ihnen stieß.
»Der Schlag Gottes hat ihn getroffen«, erwiderte Marie, »wir müssen dem Allmächtigen danken, wenn er ihn nicht ganz zu sich ruft.«
Also betteten sie den teilnahmslosen Hieronymus in einen Zuber, sie sparten nicht mit Salz und schütteten immer wieder warmes Wasser nach, das Konrad über einem Feuer in den drei Kesseln erhitzte, die sie besaßen. Isenhart, der seinem alten Lehrer über die Haut fuhr und die Verkrampfungen mit Massagen zu lösen versuchte, bemerkte alsbald ein Nachlassen der Lähmungserscheinungen in den Waden, danach folgten die Schenkel. Auch das Gesicht des Geistlichen entspannte sich, die Lider flatterten und
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