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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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Hieronymus vor dem Schemelempfand, zeichnete sich für alle unübersehbar auf seinem Gesicht ab.
    »Das ist ab jetzt Euer Platz«, fügte Konrad hinzu, »der Herr hat ihn Euch zum Lobe gesegnet.«
    »Das … das kann ich kaum glauben.« Mit zittrigen Fingern war Vater Hieronymus über den dünnen Stoff gefahren.
    Isenharts Hände waren mit Schichten von Leinen umwickelt. Eine unvorhergesehene Stromschnelle reichte, um ihm das Hanfseil tief in die Haut zu treiben und das Fleisch zu versengen. Im Umgang mit den Elementen war Umsicht gefordert. Die Masse an Wasser, die gegen das Floß drückte, besaß ungeheure Kraft. Und leitete man sie einmal in sinnvolle Bahnen – am Rande des Kanals hatte er mit der Hilfe der anderen ein Mühlrad errichtet, das ihnen das Korn aufs Gründlichste zermahlte –, nahm sie einem die Arbeit ab.
    Überhaupt walteten in der Welt ungenutzte Kräfte. Das Wasser, der Wind. Wenn es also Schaufeln gab, mit deren Hilfe man sich die Wucht des Wasser zunutze machen konnte, was sprach dagegen, sich mit ebendiesen Schaufeln die Fähigkeiten des Windes zu eigen zu machen?
    »Unwetter?«, fragte der Ältere der beiden mit einer Spur Besorgnis.
    Isenhart nickte: »Hagel hat uns die Ähren zerrissen.«
    »Und Spira«, fragte der Jüngere, »gibt es dort noch zu essen?«
    »Ja. Weniger Brot und Mus. Aber Gemüse.«
    »Und Bret?«
    »Auch das, wenn die Münze stimmt.«
    Die beiden Männer schienen erleichtert. Sie waren mit insgesamt vier Maultieren unterwegs, die allesamt schwer zu tragen hatten. Die Rücken der Tiere bogen sich unter dem Gewicht. Gewürze sind nicht so schwer, dachte Isenhart, während er das Floß Zug um Zug über den Rhein zerrte. Zug um Zug, der seine Muskeln anschwellen ließ, manchmal waren sie hart wie Stein, wenn er abends auf das Lager fiel. Seine ehemals feinen Hände wurden breiter und kräftiger, sie fuhren über die gespannte Haut von Sophias Bauch. Irgendwann wurde das Streicheln matter, die Radien der Kreise, in denen die Finger ihre Bahnen zogen, kleiner, bis er in den Schlaf fiel.
    Wind und Sonne trieben erste Furchen in seine Gesichtshaut, um sie dann Tag um Tag, Stunde auf Stunde zu vertiefen.
    »Na, Alter, wie ist dir? Ist das dein Sohn?«
    Hieronymus strahlte die beiden Reisenden an und nickte. »Ja, mein Sohn.«
    Die Reisenden bemerkten, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Davon abgesehen handelte es sich wohl um einen harmlosen Gesellen. »Dein Sohn ist ein fleißiger Mann«, sagte der Ältere, um Hieronymus eine Freude zu bereiten, dem beim Lächeln Speichel über die Unterlippe rann.
    Isenhart fuhr ihm sanft mit der Linken über das Kinn, ganz so, als verscheuche er ein Insekt, um dann wieder das Seil zu packen und sie näher ans andere Ufer zu ziehen, wo Heiligster auf ihn wartete. Und eine Gestalt am Ufer. Sophia, die eine noch kleinere Silhouette an der Hand hielt: Lilian.
    »Ja, fleißig. Was treibt Euch nach Coellen?«
    »Coellen«, fragte der Jüngere, »wir sind bei Spira.«
    »Oh, Ihr müsst vom Weg abgekommen sein«, merkte Hieronymus mit echter Bestürzung an, seine Finger verfingen sich ineinander und rangen einen unbestimmten Kampf.
    »Nein, das ist schon recht, Vater«, beruhigte Isenhart ihn dann, »nach Coellen kommen wir erst am Nachmittag.« Was eine glatte Lüge war, die Isenhart – Übung macht den Meister – mittlerweile ohne ein Zögern über die Lippen kam.
    »Natürlich, ja«, antwortete der Geistliche erleichtert.
    Isenhart warf dem Gespann aus Vater und Sohn einen Blick zu, ein Nicken. Sie begriffen. Der Fährmann war mit einem verwirrten Alten geschlagen.
    Isenhart unternahm gar nicht erst den Versuch, dieses Missverständnis aus der Welt zu räumen. Während seine Hände wieder und wieder nach vorne schnellten und das Seil ergriffen, seine Arme und Beine sich gegen die Strömung stemmten, erinnerte er sich an die Zeit in Heiligster, in der Sophia und er am Anfang die Augen nicht voneinander hatten lassen können und nahezu jeder Abend in einem Liebesspiel endete, in dem stets neuen und vergeblichen Versuch, zu einem Wesen zu verschmelzen. Ihre Blicke saugten jedes Detail auf, jede Kontur des Gesichts, jede Schwingung desMundes, jeden Leberfleck, jeden einzelnen Sprenkel in der Pupille des anderen.
    Sie erinnerten sich gemeinsam an die Jahre auf der Burg Laurin und stellten fest, wie sie beide Außenseiter gewesen waren. Jeder von ihnen hatte für Giselbert eine besondere Bedeutung eingenommen, wie sie erst jetzt, viele Jahre nach

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