Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter
hier vielleicht die Familie finden könnte, nach der ich mich immer gesehnt hatte.
Und da war die Ausbildung. Ich konnte nicht leugnen, dass ich jede Minute meines Unterrichts genoss. Am Vormittag hatte ich eine Menge über chemische Verbindungen erfahren, und für den Nachmittag stand allem Anschein nach der Einsatz von Messern in einem Zweikampf auf dem Programm. Ich lernte viel Neues. Ich entwickelte Kraft und Geschick.
Aber ich entwickelte auch mehr Weiblichkeit. Das war wohl mit ein Grund für meine Begeisterung für Priti. Da ich ohne Mutter aufgewachsen war und das Verhältnis zwischen Dad und der Yatch von einem Platz in der ersten Reihe miterlebt hatte, wusste ich nicht viel über die Macht der Frauen, die nur am Rande mit einer schicken Frisur und einer guten Pediküre zu tun hatte. In der Überzeugung, dass Priti mir weit mehr beibringen konnte als Kampfsporttechniken, hatte ich mir in den vergangenen Monaten jede ihrer Bewegungen und Gesten eingeprägt.
Seither hielt ich mich ein gutes Stück aufrechter. Die Vampir-Azubis dienten mir als Übungsobjekte. Ich schaute ihnen tief in die Augen, nur um zu sehen, wie sie reagierten. Und sie reagierten in der Regel positiv. Ich erkannte verblüfft, dass diese Jungs verdammt einfach gestrickt waren.
Ich ignorierte das Getuschel von den Tribünen und die Feindseligkeit, die mir entgegenschlug. Es störte viele der Mädels, dass die elegante, gut aussehende Priti ausgerechnet mich bevorzugte. Ihrer Meinung nach verdiente ein Mauerblümchen wie ich nichts Besseres, als bei dem kleinsten Vergehen zur Schnecke gemacht zu werden.
Und ich wusste selbst nicht, warum Priti darauf verzichtet hatte. Vielleicht sah sie in mir eine besondere Aufgabe. Vielleicht spürte sie auch, dass ich hart trainierte und viel einsteckte, ohne mich jemals zu beklagen.
Ich warf einen Blick auf die wartenden Acari. Sie verfolgten unseren kleinen Wortwechsel mit Neid und Hass in den Augen. Deshalb beschloss ich, ihn noch etwas zu verlängern. »Darf ich dann heute mal deinen Chakra ausprobieren?«
Priti lachte. »Du weißt, dass es dafür noch zu früh ist, kleine Acari.« Sie musterte meine Sporttasche. »Aber wie ich sehe, hast du deine Shuriken mitgebracht.«
Ich hatte die Tasche unter den Arm geklemmt und die Wurfsterne sicher in einem Innenfach verstaut. Ich schleppte sie inzwischen fast überallhin mit, so wie Emma ihr Jagdmesser. »Wie kannst du das sehen?«
»Es steht in deinen Augen geschrieben.« Sie hob mein Kinn an, und ihre geschmeidigen einsachtzig neben meinen mickrigen einssechzig boten sicher einen komischen Anblick. »Außerdem drückst du die Tasche wie einen Schatz an dich.«
»Heißt das, dass ich sie endlich benutzen darf?« Ich brannte darauf, die Wurftechnik zu erlernen, aber Wächterin Priti hatte bisher stets gesagt, die Zeit sei noch nicht gekommen.
Sie bedachte mich mit einem strahlenden Lächeln. »Denkst du, dass du schon so weit bist?«
»O mein Gott, echt? Heute?« Um ein Haar wäre ich vor Freude auf und ab gesprungen. »Und ob ich so weit bin!«
»Dann also heute.« Sie senkte das Kinn und schlug einen schärferen Ton an. »Und jetzt wird es Zeit, dass du an deinen Platz gehst, Acari Drew.«
Der Unterricht zog sich endlos hin. Wir arbeiteten uns durch eine Reihe von Schwert- und Degen-Übungen, die zum Standardprogramm gehörten. Warm-up für Schultern und Arme, Gewichte, Fußarbeit, allgemeine Abwehrmanöver. Das dauerte eine Ewigkeit. Ich konnte an nichts anderes als an die vier perfekt geschliffenen Sterne in meinem Spind denken.
Ich war an der Kendo-Station und trainierte Fußarbeit, eine Standardfolge von Ausfallschritten und Schwünge. Ich kannte die Grundformen inzwischen auswendig, und das lange Bambusschwert fühlte sich an wie eine Verlängerung meines Arms.
»Sehr schön, Acari Drew.« Priti fing das Ende meines Schwerts mitten in der Luft ab und sah mich nachdenklich an. »Ich weiß, dass dir die Arbeit mit dem Schwert Spaß macht. Aber Vorsicht! Shuriken unterscheiden sich in der Handhabung sehr von normalen Klingen.«
War das die Einführung zu meinem ersten Ninja-Training? »Das ist mir klar«, stimmte ich rasch zu. Ich war so heiß darauf, die Wurfsterne auszuprobieren, dass ich noch ganz anderen Dingen zugestimmt hätte.
Sie musterte mich aus schmalen Augen. »Ich habe den Eindruck, dass du mir nicht richtig zuhörst. Du musst dich darauf gefasst machen, dass du das Ziel verfehlst. Immer und immer wieder.«
»Ich bin
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