Isola - Roman
zwei Meter langes, offenes Motorboot, in dem eigentlich nur vier Personen Platz hatten, aber Elfe nahm mich auf den Schoß, Milky klemmte sich Mephisto zwischen die Knie und Solo warf den Motor an. Tuckernd und begleitet vom Geschrei einiger Vögel, die jetzt von den Felsen in den Himmel stoben, setzte sich das Boot in Bewegung.
Die Überfahrt zur Nachbarinsel dauerte kaum eine Viertelstunde, aber mir kam es vor wie eine Ewigkeit. Ich blickte die ganze Zeit zu unserer Insel zurück, und je mehr sie schrumpfte, desto größer wurde der Kloß in meiner Kehle.
Wir legten an einem schmalen Holzsteg am Fuß der Felsen auf der Nachbarinsel an, wo noch ein zweites, kleineres Motorboot vertäut war. Mephisto schoss voraus, die Nase am Boden, er wedelte mit dem Schwanz und bellte aufgeregt.
Die Nachbarinsel war winzig, kaum breiter, als der Leuchtturm hoch war. Was hatte ich erwartet? Ich wusste es nicht – und wenn ich heute an diesen Ort zurückdenke, habe ich immer nur dieses eine Bild vor Augen: eine flache Scheibe mit einem dünnen Finger, der zum Himmel zeigt. Dabei war die Insel nicht flach, auch hier gab es Felsen, karg und schroff. Unzählige Muscheln und Krebse klebten an ihnen, aber außer einem bleichen, krumm gewachsenen Baum, der sich wie eine müde Gestalt über das Meer beugte, gab es keine Vegetation. Der Leuchtturm war aus dunkelgrauem Stein, genau wie das kleine Wächterhaus, aus dessen Dach er emporragte. In den Sockel waren bogenförmige Fenster eingelassen und die kleine Metallkuppel über der gläsernen Turmspitze leuchtete wie eine rote Ampel. Eine kleine Steintreppe führte zur Eingangstür des Wächterhäuschens und gleich daneben stand eine Art Holzkasten, mannshoch, aus dem zwei trompetenähnliche Gebilde ragten.
»Das Nebelhorn«, presste Alpha hervor.
Mephisto stand jetzt vor dem Eingang. Er kratzte an der Holztür und bellte immer aufgeregter. Die Tür war nicht abgeschlossen. Als Solo die Klinke herunterdrückte, gab sie quietschend nach und Mephisto war mit einem Satz im Inneren verschwunden.
Dicht aneinandergedrängt standen wir in dem runden Korridor des Häuschens. Durch die vor Schmutz starrenden Fenster fiel nur trübes Dämmerlicht. Die Luft roch abgestanden, nach einer Mischung aus Bier, Kaffee, kaltem Zigarrenrauch und Salami. Auf dem Steinboden lag ein blau-grün gemusterter Flickenteppich, es gab eine Garderobe, eine kleine Kommode aus abgenutztem Holz und einen Stuhl, über dem eine dünne Jacke hing. Vor der Tür standen zwei Gummistiefel, ein roter, ein schwarzer.
Drei Türen gingen vom Korridor ab, zwei standen offen. Links wand sich im Uhrzeigersinn eine schwarze Holztreppe nach oben.
»Hallo?«, rief Solo. Seine Stimme hallte von den Steinwänden wieder. »Quint? … Pop? … Bist du da?«
Es blieb still.
Die Küche lag rechts. Es war ein winziger, notdürftig ausgestatteter Raum mit Blick aufs offene Meer. Auf der Anrichte standen Bierflaschen, Teller mit Pizzaresten und eine große Plastikschale Vanilleeis, dessen Reste zu einer milchig trüben Suppe verkümmert waren. Die Spüle war bis obenhin gefüllt mit schmutzigem Geschirr. Auf dem Gasherd stand ein Topf mit Reis, in einem kleinen Regal gab es verschiedene Gewürze und Konserven und im Kühlschrank waren Lebensmittel; jede Menge Obst, Tomaten, Käse und Toastbrot. Die Kaffeemaschine war noch an, der Becher daneben halb voll, der Kaffee kalt.
Alpha und Milky inspizierten das angrenzende Duschbad, während ich mit Elfe zu den anderen Räumen ging. Es waren Schlafzimmer. Ein kleines, mit einem aufgeklappten Schlafsofa, einem Metallspind und einem Berg von Klamotten, die sich auf dem Boden türmten. Es roch nach ungewaschenen Socken. Auf dem Schlafsofa lagen Zeitschriften, Focus, Galore, Rolling Stone und Playboy .
»Tolle Mischung.« Elfe verzog angewidert das Gesicht.
Das andere Schlafzimmer war größer, und als wir eintraten, zog mir der Duft von Aftershave in die Nase. Auf dem Bett, einer breiten Holzkoje, sah ich Solo sitzen. Zu seinen Füßen lag Mephisto, die Schnauze in einem weißen Hemd vergraben. Sein schwarzer Schwanz schlug auf den Boden, kurze, hämmernde Geräusche. Solos Hände hatten sich um ein himmelblaues Kopfkissen gekrallt.
»Lasst mich einen Moment allein«, sagte er tonlos.
Der Turm hatte drei Geschosse, die nahezu unbenutzt aussahen. Im ersten Stock gab es einen Tisch mit zwei Stühlen, die Wände der zweiten Etage säumten leere Regale und vor einem der Fenster lagen drei
Weitere Kostenlose Bücher