Ist es nicht schoen, gemein zu sein
ungesund gerötete Gesichtsfarbe,
als würde er zu viel blutiges Steak essen. An der Hand hielt er ein feistes
Mädchen mit herzförmigem Gesicht und braunen Locken - Scarlett O'Hara. Sie
schmetterte die Worte im breitesten Brooklyner Akzent heraus.
Serena lehnte sich mit dem
Rücken an die Wand und sah den beiden mit einer Mischung aus Faszination und
Grausen zu. Was sie gerade eben in der Galerie erlebt hatte, hatte sie nicht
im Mindesten erschüttern können, aber das hier... das war echt gruselig.
Das Ende des Lieds ging im
jubelnden Applaus der übrigen Theater-AGler unter, anschließend probte die
Regisseurin, eine ältliche Engländerin, gleich die nächste Szene.
»Stemm die Hände in die Hüften,
Scarlett«, rief sie. »Zeig s uns. Na los. Gib alles. Sehr gut. Stell dir vor,
du seist die Britney Spears der bürgerkriegsgeplagten Südstaaten. Du setzt dich
über alle Konventionen hinweg!«
Serena schaute zum Fenster
hinaus, wo an der Ecke 93. Straße und Madison Avenue in diesem Moment drei Mädchen
aus einem Taxi stiegen. Sie sah genauer hin. Es waren Blair, Isabel und Kati.
Serena umschlang ihren Oberkörper, als sei ihr kalt, und versuchte, das fremde
Gefühl abzuschütteln, das sie überkommen hatte, seit sie wieder in New York
war. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich ausgeschlossen.
Ohne auch nur ein Wort mit
jemandem aus der Theatergruppe gewechselt zu haben - Hallo! Und tschüss! -, schlüpfte Serena aus dem Raum.
Die Wände des Schulflurs waren mit Postern und Ankündigungen gepflastert.
Serena blieb stehen und begann zu lesen. Da hing auch ein Zettel von Vanessa
Abrains, die eine Darstellerin für ihren Kurzfilm suchte.
Wie Serena Vanessa kannte,
würde der Film sehr ernst und sehr düster werden, aber alles war besser, als
alberne Lieder zu grölen und mit einem fetten, rotgesichtigen Ralph Bottoms
III. auf der Bühne rumzuhopsen. Das Vorsprechen hatte schon vor einer Stunde
begonnen - Treffpunkt war eine Parkbank im Madison Park -, naja, vielleicht war
Vanessa ja noch da. Und so sprang Serena in das nächste Taxi, diesmal Richtung
Downtown.
»Ich mach dir jetzt mal vor,
wie ich es mir vorstelle, ja?«, sagte Vanessa zu Marjorie Jaffe, einer
Zehntklässlerin aus der Constance-Billard-Schule, die als einzige Kandidatin
zum Vorsprechen für die Rolle der Natascha erschienen war. Marjorie hatte
knallrote Locken, Sommersprossen, eine kleine Knollennase und quasi gar keinen
Hals. Sie kaute ununterbrochen angestrengt Kaugummi und war die absolut
schlimmste Fehlbesetzung, die man sich nur vorstellen konnte.
Die untergehende Sonne tauchte
den Madison Square Park in zartes rosa Licht. In der Luft lag der für New York
so typische Herbstgeruch, ein Gemisch aus qualmenden Kaminen, vertrocknetem
Laub, dampfenden Hotdogs, Hundepisse und Busabgasen.
Daniel lag auf dem Rücken auf
der Parkbank, wie Vanessa es angeordnet hatte, ein verletzter Soldat, die
Glieder von sich gestreckt. Verwundet auf dem Schlachtfeld des Krieges und der
Liebe, bot er ein Bild des Jammers. Bleich, abgemagert und verfallen. Auf
seiner Brust lag eine kleine gläserne Crackpfeife. Vanessa hatte sie am
Wochenende in Williamsburg auf der Straße gefunden. Sie war das ideale Requisit
für ihren
Versehrten sexy Fürsten.
»Ich lese jetzt erst mal
selbst Nataschas Text und du hörst genau zu«, sagte sie zu Marjorie. »Okay,
Dan. Wir können.«
»Sie schlafen nicht?«, fragte
Vanessa-als-Natascha und blickte auf Dan-als-Fürst-Andrej hinunter.
»Nein, ich habe Sie lange
angesehen. Ich fühlte, wie Sie hereinkamen. Nur Sie schenken mir diese weiche
Stille... dieses Licht! Fast möchte ich weinen vor Freude«, sagte
Dan-als-Fürst-Andrej schwach.
Vanessa kniete neben seinem
Kopf nieder, ein seliges Strahlen auf dem Gesicht.
»Natascha, ich liebe Sie zu
sehr. Mehr als alles in der Welt«, ächzte Dan, versuchte sich aufzurichten,
sank jedoch mit schmerzverzerrter Miene auf die Bank zurück.
Er hatte gesagt, dass er sie
liebte! Vanessa griff nach seiner Hand und ihr Gesicht lief vor Aufregung rot
an. Sie war völlig im Augenblick gefangen. Dann fiel ihr plötzlich wieder ein,
wer sie war, und sie ließ Dans Hand los und stand auf.
»Okay, jetzt du«, sagte sie zu
Marjorie.
»'kay«, sagte Marjorie, die
mit offenem Mund ihren Kaugummi durchwalkte. Sie zog die Haarspange aus den
drahtigen roten Locken und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar, um es
aufzuplustern. Dann kniete sie sich neben die Bank, hielt das Drehbuch
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