Ist Schon in Ordnung
grinst, tippt sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe und dreht den Finger hin und her. Okay, denke ich, da gibt es was, was ich nicht weiß, und das werde ich jetzt erfahren. Trond verschwindet hinter der Presse und kommt mit zwei kleinen Schachteln zurück. Eine davon reicht er mir, darin liegen zwei gelbe schaumgummiartige Teile.
»Schau her!«, schreit er mir ins Ohr und rollt die Teile zwischen den Fingern, bis sie klein und schmal werden, er steckt sie ins Ohr. Ich mache dasselbe mit meinen. Langsam wird der Lärm leiser, das Gummi dehnt sich aus, es ist ein komisches, leicht unangenehmes Gefühl, alle Geräusche kommen mir weit weg vor, fast so, als wäre ich betrunken. Wenn mir jetzt jemand auf den Kopf schlägt, gibt es ein Echo, denke ich.
Trond steht vor mir und schreit wieder.
» WAS ?«
»Du musst die Fingersprache lernen! Hier drin sind hundert Dezibel.«
In dem schallsicheren Pausenräumchen nehmen wir die Stöpsel heraus, und auch wenn es hier eigentlich still sein sollte, sind alle Geräusche schriller als vorher. Ich würde die Stöpsel am liebsten wieder hineinstecken.
»In einem halben Jahr hast du Gehörgänge wie das Hinterteil einer Kuh«, sagt Trond. »Weil heute dein erster Tag ist, steht Samuel zuerst am Band, ich stehe dahinter. Aber nicht dass du abhaust. Wenn das Papier reißt und du nicht da bist, kriegst du’s mit Long John zu tun.«
Long John, das muss Goliath sein. Goliath passt besser, finde ich, aber das sage ich lieber nicht laut. Ich bin nicht bereit, sein David zu sein.
14
PENG !
Ich spritze von meinem Platz neben dem Band auf und bin innerhalb von Sekunden auf der Galerie. Das Papier reißt heute schon zum fünften Mal, und dabei ist es noch nicht einmal zehn Uhr. Es ist jedes Mal ärgerlich, ich renne wie ein Wilder die Treppe hinauf, um zu verhindern, dass der ganze Mist Feuer fängt. Etwas ist nicht in Ordnung, jedes Mal, wenn die Maschine stehenbleibt, fängt das Papier an zu brennen.
Mir schlägt die Hitze aus den Heizelementen entgegen, als ich über die Galerie renne und die Türen aufreiße, die wenigen Haare, die ich noch an den Unterarmen habe, kräuseln sich wie Würmer. Ich war schnell, aber nicht schnell genug. Die Flammen schlagen aus dem obersten Heizelement, ich reiße den Feuerlöscher aus der Halterung und feuere los, in meinem Kopf laufen Bilder von Filmen ab, die ich gesehen habe: Katastrophenfilme, in denen Flammen außer Kontrolle geraten und alles verschlingen und auffressen, und hier stehe ich mit einem Dreiliter-Pulverapparat! Fehlt nur noch, dass das Maschinenöl Feuer fängt.
Die Flammen sind nicht totzukriegen, sie breiten sich aus, und bald brennt der obere Teil der Papierbahn lichterloh. Ich bin so müde, ich brenne, ich schwitze an der Brust und friere am Rücken und renne am Geländer entlang umdie Maschine herum und schnappe mir den zweiten Apparat und stehe allein zwischen Decke und Boden in der großen Halle und schieße aus beiden Hüften wie einer dieser albern wirkenden Westernhelden.
» SAMUEL !«, brülle ich. Mein Gott, ich bin neu hier, warum hilft mir keiner? Da sehe ich es, das Gas in den Heizelementen ist nicht abgestellt. Es soll sich automatisch abstellen, wenn die Maschine stehenbleibt, aber dort drinnen faucht es bläulich. Kein Wunder, dass es brennt.
» SAMUEL ! STELL DAS VERDAMMTE GAS AB !«
Samuel sitzt im Pausenräumchen. Ich kann ihn sehen, wenn ich mich vorbeuge, er raucht und liest in einer alten Playboy-Ausgabe, das heißt, er sieht sich die Bilder an, denn Englisch kann er nicht. Meine Stimme muss zu ihm vorgedrungen sein, er steht auf, legt das Heft weg und drückt die Zigarette mit einem Sicherheitsschuh aus. Ich habe oft darüber nachgedacht, was er mit Sicherheitsschuhen will. Das Schwerste, was ihm je draufgefallen ist, sind zwanzig Prince. Er geht zur Schalttafel und stellt von Hand das Gas ab, geht rückwärts wieder zu seinem Stuhl, setzt sich und zündet sich eine weitere Zigarette an, schlägt den Playboy auf, und nicht ein einziges Mal hat er zu mir hochgeschaut. Ich richte mich auf, den Mund voller Aschegeschmack. Ich lecke mir über die Lippen, aber es nützt nichts.
Eigentlich haben wir denselben Job. Rotationsassistent steht in unseren Papieren. Aber da ich dreißig Jahre jünger und noch neu im Job bin, nimmt sich Samuel einen gehörigen Alterszuschlag heraus, und das heißt, dass er jedes Mal, wenn etwas passiert, sitzen bleibt, während ich mir die Beine aus dem Bauche renne.
Zum
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