Istanbul: Ein historischer Stadtführer
Jhs.;= Bäder aus der 2. Hälfte des 16. Jhs.;= Bäder aus dem Ende des 16. Jhs.
Ein Preisregister von 1640 enthält eine komplette Gebühren- und Benutzungsordnung für die Istanbuler Bäder: Der einfache Badebesuch kostete 1
Akçe
, eine Abreibung mit dem
Kese
genannten Handschuh (von dem vier verschiedene Sorten auf dem Markt waren) mit einer Rasur das Doppelte. Wer dem Chef der Badediener und seinen Gehilfen ein Trinkgeld gab, war von diesem Eintrittsgeld nicht befreit. Dem Personal war aber nicht erlaubt, von «Gästen» und «Armen» ein Trinkgeld zu fordern. Am teuersten war das Kämmen und Flechten von Frauenhaar. Die Badedienerinnen nahmen 5
Akçe
, «wenn der Zopf bis zu den Fersen reichte». Die Badediener hatten die Kunden bei der Rasur mit einem reinlichen und trockenen Badetuch einzuhüllen. Man durfte sich für einen Badediener seiner Wahl entscheiden. Für Nichtmuslime galten besondere Vorschriften:
Ungläubige müssen sich neben dem Gitterverschlag ausziehen, sie haben keinen Anspruch auf die (üblichen) Stelzenschuhe (
nalın
). Ihre Handtücher sind mit Ringen zu kennzeichnen. Für die Ungläubigen stehen außerhalb der Einzelwaschräume (
halvet
) besondere Becken zur Verfügung. Unter keinen Umständen dürfen sie bei den Muslimen Anstoß erregen und die
Halvets
betreten.
Das Dampfbad ist ein von den osmanischen Dichtern gern und oft besungener Ort. Es gibt sogar das literarische Genre des «Bäderlobs» (
Hammâmîye
oder
Hammâm-nâme
) in verschiedenen klassischen Gedichtformen wie Kasiden und Gasels. In die Istanbuler Lokalgeschichte ist das Bad in Beşiktaş eingegangen, welches der Dichter Gazâlî betrieb. Der als Deli Birader («Verrückter Bruder») bekannt gewordene Gazâlî hatte einen Memî Şâh genannten Jüngling von hinreißender Schönheit als Badediener gewonnen. Sein Bad zeichnete sich weiters durch ein Becken mit Springbrunnen aus, das aus einem einzigen Marmorblock gesägt war. Als ein anderer Badebesitzer ebenfalls ein Becken von dem für Istanbul neuen «Bursa-Typus» installierte, schickte ihm Deli Birader ein obszönes Gedicht. Am Ende wurde Deli Birader ein Opfer übler Nachrede. Sein Gönner İbrâhîm Pascha, der berühmte Großwesir Süleymâns, riss ihm das Bad über dem Kopf ab. Deli Birader zog sich nach Mekka zurück, wo er um 1535 verstarb.
Zur «Sittengeschichte»
von einigen etwas anderen Hammams
Ein «Buch der herzöffnenden Badediener» genannter Text aus dem späten 17. Jahrhundert bildet ein drastisches Panorama der Päderastenszene der Stadt. Der Verfasser, ein gewisser Dervîş İsmâ’îl, seines Zeichens Zunftvorstand der Badepächter und Connaisseur, bewegte sich im Milieu der Janitscharen des 59. Regiments und der Schiffsleute vom Goldenen Horn. Seine kleine Schrift stellt die körperlichen Vorzüge und professionellen Gewohnheiten von elf Jünglingen vor, die als Badediener (
tellâk
) in verschiedenen Hammams der Stadt beschäftigt waren, dort aber nicht allein mit Seife und Badehandschuh arbeiteten, sondern auch die sexuellen Wünsche bestimmter Besucher erfüllten. Allerdings prostituierte sich nur ein kleiner Teil der vom Verfasser auf insgesamt 2321 bezifferten Badediener in den 408 Hammams.
Die Knaben nahmen für einen Verkehr mindesten 70
Akçe
. Ein besonders gefragter Yemenici Balcı verlangte für eine ganze Nacht auf der gemeinsamen Matratze 300. Selbstverständlich waren die Betreiber dieser Bäder eingeweiht und wussten, in welchen Seitenräumen «ein hennafarbenes Lämmlein» auf eine Kundschaft wartete, die sich «wie Eselsbienen auf eine Schale Honig» stürzte. Offensichtlich waren bestimmte Bäder nachts ausschließlich dem Vergnügen mit jenen «Hyazinthenlockigen» reserviert. Jedenfalls stand dann auch der große Aufenthaltsraum (
câmekân
) des Bades zur Verfügung. Der besondere Ruf des hier genannten Çardaklı Hammam (das einst zur Stiftung der Kleinen Hagia Sophia/Küçük Aya Sofya gehörte und noch heute als Ruine besteht) wird übrigens auch in der Bäderliste von Evliyâ Çelebî bestätigt, wenn er schreibt, es sei das Bad der «Zuhälter». Tagsüber machten die
Tokmakçı
(von
tokmak
«Keule, Schwengel») genannten Lustknaben in den Kaffeehäusern auf sich aufmerksam. Derviş İsmâ’îl beschreibt einen sogenannten Sipâhî Mustafâ Bey, der so attraktiv war, dass sich ein steinreicher Zollpächter für ihn interessierte und ein hochrangiger Kadi (immerhin der Molla von Galata) ihn vom Bad nach Haus holte,
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