Istanbul
das Glück der großen Liebe blieb ihm versagt. Nur kurz war er verheiratet, die Ehe mit der späteren FrauenrechtlerinLatife Hanım ging in die Brüche. Um nicht kinderlos zu sein, adoptierte er mehrere bedürftige Mädchen. Seine berühmteste Tochter sollte Sabiha Gökçen werden, die erste türkische Pilotin, nach der auch einer der İstanbuler Flughäfen benannt ist. Halt im Leben fand er insbesondere beim Rakı. 1938 verstarb er an Leberzirrhose in İstanbul. Seine Gebeine ruhen im Atatürk-Mausoleum in Ankara.
Seit Atatürks Tod sorgt das Militär, der selbsternannte Hüter über den Laizismus, dafür, dass dessen geistiges Erbe nicht durch islamische Fundamentalisten und linksradikale Gruppierungen verletzt wird. Kemalistische Offiziere putschten 1960 und ließen den MinisterpräsidentenAdnan Menderes hinrichten, der reaktionären islamischen Kräften nachgegeben hatte. Unruhen und Streiks führten 1972 dazu, dass das Militär erneut in die Politik eingriff. 1980 übernahm abermals das Militär die Macht, löste das Parlament auf und verbot die zwei größten Parteien des Landes. Zuletzt setzte es sich für ein Verbot der islamistischen „Wohlfahrtspartei“ (1998) und deren Auffangbecken, die „Tugendpartei“ (2001) ein. Auch die gerade regierende AKP stand schon unter scharfer Beobachtung des Militärs, denn die AKP will eine „muslimische Türkei“. Was das aber genau sein soll, ist so unklar und umstritten wie die christlichen Werte, die die christlichen Parteien in der EU-Verfassung verankern wollen. 2008 sollte die AKP von der politischen Bühne gestoßen werden. Die Mehrheit der Verfassungsrichter stimmte für ein Verbot, doch die in diesem Fall vorgeschriebene Mehrheit von sieben der elf Stimmen wurde um eine verfehlt.
Exil Türkei
Während der Nazidiktatur suchten viele Juden in der Türkei Zuflucht, darunter Hunderte von Wissenschaftlern, die in Deutschland mit Arbeitsverboten belegt worden waren. Atatürk, der das Land nach westlichen Maßstäben reformieren wollte, waren sie willkommen. Unter den emigrierten Professoren befanden sich u. a. der Jurist Ernst Hirsch, der das türkische Handelsgesetzbuch und Urheberrecht verfasste (später Rektor der Freien Universität Berlin), der Soziologe Gerhard Kessler, der die erste Gewerkschaft des Landes ins Leben rief, Hans Wildbrandt, der das türkische Genossenschaftswesen aufbaute, Eduard Zuckmayer, der die Musikakademie von Ankara begründete, Carl Ebert, auf den die erste türkische Schauspiel- und Opernschule zurückgeht, der Mediziner Albert Eckstein, der sich um die Kinderkrankenpflege in der Türkei verdient machte, und und und … An den Universitäten des Landes lehrten der Politiker und Städteplaner Ernst Reuter (späterer Bürgermeister von Berlin), der Ökonom Wilhelm Röpke, der Historiker Ernst Engelberg, der Islamkundler Karl Süßheim, der Bildhauer Rudolf Belling, der Komponist Paul Hindemith, der Architekt Clemens Holzmeister und viele, viele mehr. Die türkischen Behörden stempelten das aus dem Deutschen entlehnte Wort „Haymatloz“ in ihre Pässe. Heute ist im Gespräch, in İstanbul ein kleines Forschungszentrum einzurichten, das die deutsche Emigration in die Türkei zum Schwerpunkt haben soll. Ein passender Ort wäre das einstige Wohnhaus des ArchitektenBruno Taut auf einem Hügel über Ortaköy, das an eine japanische Pagode erinnert. Taut wurde 1936 an die İstanbuler Akademie der Bildenden Künste berufen. In Berlin hatte er zuvor jene Hufeisensiedlung geschaffen, die seit 2008 in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen ist. In İstanbul entwarf er u. a. Universitätsgebäude, in Ankara sogar den Katafalk für Atatürk.
İstanbul – heimliche Hauptstadt
Mit der Ernennung Ankaras zur neuen Hauptstadt endete 1923 die politische Vormachtstellung İstanbuls, die über eineinhalb Jahrtausende angedauert hatte. Wirtschaftlich und kulturell aber blieb die Stadt am Bosporus das Zentrum der neuen Republik. So verwundert es nicht, dass ab Mitte des 20. Jh. ein Bevölkerungszuzug einsetzte, der zu einer Verzehnfachung der Einwohnerzahl führte. Täglich erreichten Busladungen mit verarmten Bauern aus Ostanatolien, Glücksrittern aus der Provinz undKurden aus den Krisengebieten im Südosten des Landes die Metropole. Letztere kamen insbesondere ab 1984, dem Beginn der gewaltsamen kurdisch-türkischen Auseinandersetzungen. Der Krieg kostete bereits über 30.000 Menschen das Leben. Nach einer Phase der Ruhe flackerten die Kämpfe
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