Istanbul
2004 wieder auf, auch Bombenanschläge in İstanbul waren die Folge.
İstanbul – keine Angst mehr vor dem großen Beben
Mit 60 % geben Wissenschaftler das Risiko für İstanbul an, innerhalb der nächsten 30 Jahre von einem Erdbeben mit der Mindeststärke von 7,0 auf der Richter-Skala getroffen zu werden. Grund für die extreme Erdbebengefahr im Raum İstanbul ist die prekäre Lage der Bosporusmetropole nahe einem Riss in der Erdkruste, der sich von Nordanatolien bis zum Marmarameer zieht. Zwei Erdplatten, die anatolische und die eurasische, stoßen hier aufeinander. Daher zittert İstanbul seit eh und je – mal mehr, mal weniger, mal alle drei Jahre, aber auch mal ein ganzes Jahrzehnt nicht. Eines der verheerendsten Beben in der Geschichte der Stadt ereignete sich 1509. Es löste eine gigantische Flutwelle aus, die über die einstigen Seemauern der Stadt einstürmte, über 100 Moscheen zerstörte und über 10.000 Menschen das Leben kostete. Ein solch schweres Beben in heutiger Zeit wäre ein Horrorszenario, Wissenschaftler prognostizieren für diesen Fall 50.000 bis 100.000 Tote. Gegen die angekündigte Katastrophe tut die Stadt nur wenig: Nicht einmal 10 % der Schulen oder Krankenhäuser, die in den letzten zehn Jahren gebaut wurden, sind erdbebensicher. Stattdessen wurden schon Orte für Massengräber ausgewiesen … Der Grad der Angst vor einem Beben spiegelt sich v. a. in der Höhe der jährlichen Investition in die Bosporusmetropole wider. Nach dem Erdbeben im August 1999 bei İzmit (ca. 100 km südöstlich von İstanbul, 18.000 Tote) verschwanden zig Projekte in den Schubladen. Vier, fünf Jahre herrschte Stillstand. Mittlerweile ist die Erdbebenpanik wieder passé. Es wird gebaut und restauriert wie nie zuvor. Mit den Dubai Towers , zwei Wolkenkratzern, die 300 m in den Himmel ragen werden, soll im Stadtteil Levent gar das vierthöchste Gebäude Europas entstehen. Scheichs aus Dubai wollen dafür 500 Mio. Euro locker machen – wenn sie wieder flüssig sind. Ein paar Blocks weiter kann man mit dem entsprechenden Kleingeld bald im İstanbul Sapphire residieren, einem 200 m hohen Wolkenkratzer mit schicken Apartments, einer Shoppingmall, einer Golfanlage in 163 m Höhe und vielem Schnickschnack mehr. Ein weiterer architektonischer Superlativ wird mit Autopia in Beylikdüzü entstehen. Ende 2011 sollen dort die Arbeiten am größten Autohaus der Welt abgeschlossen sein – Showrooms für 2500 Fahrzeuge auf fünf Etagen, auf dem Dach eine eigene Rennstrecke. Analysten bezeichnen İstanbul als eine der attraktivsten Städte Europas, was Investitionen in Industrie-, Logistik- und Wohnimmobilien betrifft.
Ein Brückenschlag zwischen zwei Kontinenten
Die Zuzügler ließen sich in sog. Gecekondus (über Nacht errichteten Hütten) an den Stadträndern İstanbuls nieder. Wer im Laufe der Zeit ein wenig Gespartes zusammen hatte, bezog eine Wohnung in einem Apartmentblock, den meist eine Baumafia illegal und billigst auf Staatsland errichtet hatte – man schätzt, dass 65–70 % aller Gebäude İstanbuls Schwarzbauten sind. Bei Erdbeben sind sie die Wackelkandidaten Nummer eins. Das Buhlen um Wählerstimmen ließ die Kommunalpolitiker alle Augen zudrücken und eine Amnestie auf die andere folgen. Daran hat sich bis heute nichts geändert, denn der Zuzug aus den östlichen Provinzen hält noch immer an.
Mit der extremen Zunahme der Bevölkerung jedoch standen und stehen die Stadtväter vor immer neuen infrastrukturellen Herausforderungen. Gigantische Bauprojekte über und unter der Erde waren und sind noch immer die Folge.
İstanbul, mittlerweile auf 13 bis 15 Millionen Einwohner und auf eine Ost-West-Ausdehnung von über 70 km angewachsen, lockt aber seit jeher nicht nur die Mittellosen, sondern auch die Wohlhabenden an: Wer viel Geld hat und es dekadent oder auch nur stilgerecht ausgeben will, zieht ebenfalls in die Metropole am Bosporus. In keiner Stadt der Türkei ist die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen religiöser Verschlossenheit und westlicher Weltoffenheit so groß. İstanbul ist bis heute das Zentrum der Republik − nicht die hässliche, technokratische Stiefschwester Ankara, auch wenn dort die Politik gemacht wird.
Die Türkei und İstanbul – ein Ausblick
Terroranschläge in İstanbul
Der letzte Terroranschlag vor Drucklegung dieses Buches ereignete sich im Oktober 2010 – ein Selbstmordattentäter hatte es am Taksimplatz auf einen Polizeibus abgesehen, 32 Personen wurden verletzt. Zu dem
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