Italien zum Verlieben (German Edition)
Brise.
Überall am Wegesrand gaben Grillen ihr Konzert im hohen Gras.
Anna fuhr den selben Weg, den sie auch vergangene Woche mit Marco
gefahren war. Sie fühlte sich frei, auch in ihrem Kopf, sie
wollte im Moment an gar nichts denken und einfach nur das Wetter und
die wunderschöne Landschaft genießen. Oben auf der Kuppe
an der Straße, die südlich aus Vaiano herausführte,
musste sie kurz anhalten, um einige Autos vorbei zu lassen. Ein paar
Pinien, die neben ihr wuchsen und den Asphalt aufbrechen ließen,
spendeten ihr Schatten. Vor ihr sah sie schon den Lago di Chiusi in
der Sonne glitzern. Sie freute sich auf die Erfrischung. Sie hatte
sich ein Buch und zwei mit Wildschweinsalami belegte Brote
mitgenommen. Nach dem Schwimmen hatte sie immer einen riesigen
Kohldampf.
Sie ließ sich an den Wiesen vorbei das letzte
Stück den Feldweg hinunter rollen und fuhr dann südlich am
See entlang. Sie wollte diesmal an dem Steg vorbei fahren und nach
einem anderen Plätzchen suchen. Nach einer Weile fand sie eine
wunderschöne Stelle direkt neben einem leuchtend gelben
Sonnenblumenfeld. Der Boden war hier sehr sandig und ähnelte dem
Strand in der kleinen Bucht, den Marco ihr gezeigt hatte. Sie legte
ihr Rad auf den Boden, zog ihre Sachen aus und stieg in das kühle
Wasser. 'Ach, wenn es doch nur immer so sein könnte', dachte sie
bei sich. Sie wusste, dass seit sie hier war, etwas mit ihr geschehen
war. Etwas, das sie nur schwerlich ignorieren könnte. Sie hatte
sich verliebt. In diese Landschaft, in das Weingut, in die
Warmherzigkeit der Menschen, die dort wohnten. Sie wusste, dass sie
hier nur schweren Herzens wieder weggehen würde. Die Hälfte
ihrer Zeit hier war nun bereits fast vorbei und eines war ihr dabei
deutlich aufgefallen. Normalerweise hatte sie, wenn sie irgendwohin
in Urlaub fuhr, nach einer Woche Sehnsucht nach zu Hause. Doch
diesmal spürte sie kein Heimweh. Sie überlegte. Was gab es
denn noch, was sie zurück ziehen könnte? Natürlich war
da ihr Job, die Allgäuer Berge, Sebastian, aber ihre Heimat
hatte sie verloren. Mit dem Tod ihres Vaters, fühlte sie, waren
ihre Wurzeln ausgerissen worden. Schon als sie das Haus verlassen
mussten, nachdem ihre Mutter gestorben war, war ihr ein großes
Stück Heimat verloren gegangen. Und nun hatte sie gar keine
mehr. Nein, nun war sie frei. Sie fühlte, dass sie offen war für
Veränderungen, für etwas ganz Neues. Wie das aussehen
würde, wusste sie noch nicht. Vielleicht würde es ihr ja
Spaß machen, mit Sebastian um die halbe Welt zu ziehen,
vielleicht würde sie sich aber auch einfach hier in dieser
Gegend einen Job suchen. Ihr Italienisch war nicht gut genug für
eine Arbeit als Journalistin aber sie könnte ja auch etwas
anderes tun. Verkäuferin vielleicht. Bei diesen Träumereien
erwachte die Abenteuerlust in Anna. Einfach nochmal ganz neu
anfangen, das wäre doch was.
Noch bevor sie weiter schwärmte, brachte sie ihr
kühler Verstand wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.
'Jetzt hör aber auf, Anna, schließlich hast du ja noch ein
Leben in Deutschland und was würde Sebastian sagen, wenn du
einfach nach Italien abhauen würdest?' Außerdem hatte sie
einen sehr sicheren Job mit hervorragenden Zukunftschancen, den würde
sie doch sicher auch nicht so einfach aufgeben können. In jedem
Fall war sie eine andere Anna geworden, das spürte sie. Es würde
wahrscheinlich nicht möglich sein, nach diesem Urlaub einfach so
weiterzuleben wie zuvor.
Violetta hatte sich eine ihrer Lieblingskassetten
eingelegt, eine alte Aufnahme von Umberto Tozzi. Der kleine Rekorder,
der seit Jahrzehnten auf dem rustikalen, weißen Sideboard in
der Küche stand, tat immer noch willig seinen Dienst. Violetta
hatte einen Wischmob in der Hand, tauchte ihn im Rhythmuss der
beatigen Rocknummer schwungvoll in den Putzeimer, der neben ihr stand
und begann summend und hüfteschwingend den Küchenboden zu
wischen. Die Schürze, die sie um ihr rot-weiß gestreiftes
Kleid gebunden hatte, flatterte hin und her, ihre Haare hatte sie mit
einem Stirnband aus dem Gesicht verbannt.
"Ich kenne keine Frau die selbst beim Putzen eine
solche Leidenschaft beweist, wie meine schöne Violetta",
wurde Tozzi plötzlich auf italienisch von der Küchentür
her unterbrochen.
Ohne sich in ihrer Tätigkeit groß stören
zu lassen, sah die Haushälterin mit verschwörerischem
Lächeln zur Tür.
"Du hast ja auch noch nicht so viele andere Frauen
beim Putzen gesehen, nicht wahr, Paolo?" Sie zwinkerte
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