Italienische Novellen, Band 1
mich, wie du siehst, in deine anmutigen Arme, und ich flehe dich an: laß mich meine brennende Leidenschaft um unserer beider Ehre und Zufriedenheit willen zärtlich stillen! Wende dich in Frieden und Ruhe deinem einzigen und glühendsten Diener zu und pflücke auch du die süßen und so beseligenden Früchte unserer Jugend, wie es eine sehr kluge Frau machen würde!«
Die junge Frau, obwohl sie, noch ganz entrüstet, mehrmals ihre Kräfte umsonst angewandt hatte, um aus seinen Händen zu entkommen, da sie wohl wußte, daß das Schreien sie mit ewiger Schande bedecken würde, und da ihr noch dazu jener von Anfang an sehr gefallen hatte, beriet sich schnell mit sich selbst und entschied, ihm das zu gewähren, was sie, wenn sie gekonnt hätte, ihm zuweilen nicht versagt hätte. Sie wandte sich ihm zu und sagte: »Wenn der geringe Verstand meines Gatten Euch hierher geführt hat, so beabsichtige ich nicht, Euch zu meiner Schande von hier fortzujagen; da ich in Eure Hand gegeben bin, so brauche ich nichts anderes zu sagen, als Euch um Gottes willen und bei der Ritterlichkeit, zu der Ihr durch Euren Adel verpflichtet seid, zu bitten, daß Euch meine Ehre anempfohlen sei, wenn ich Eure Sehnsucht erfülle.«
Der Liebhaber war über diese Worte hochentzückt, küßte sie innig und sagte, sie brauche nicht zu zweifeln, weil er jederzeit, wenn es nötig wäre, das eigne Leben für die Bewahrung ihrer Ehre und ihres guten Rufes einsetzen würde. Mit solchen und andern sehr süßen und schmeichelhaften Worten besänftigte er sie, und bevor sie jenen Ort verließen, kosteten sie die erste Frucht ihrer Liebe. Dann nahmen sie eine leichte Mahlzeit ein, gingen zu Bett und verbrachten, von der gleichen Leidenschaft hingerissen, die ganze Nacht in seligem Entzücken; auch verabredeten sie untereinander eine noch behutsamere Weise, sich zu genießen.
Beim Morgengrauen ließen die Gefährten die Wagen anspannen, stiegen zu Pferde und kamen zusammen mit dem Wirt zu dem Haus; sie fanden die Dame reisefertig; sie stieg sogleich ein, der Wirt wurde über Gebühr bezahlt, und wenn sie sich auch gegen Kalabrien in Marsch setzten, so kamen sie doch abends mit großem Vergnügen und Feste wieder nach Hause. Der Liebhaber belohnte endlich die geschickte Botin und erfreute sich lange Zeit glücklich mit der jungen Frau. Möge auch dir Amor einen so fröhlichen Ausgang gewähren, so wie du es am meisten begehrst!
Der geprellte Vater
(Shakespeare, Der Kaufmann von Venedig)
Herr Thomas Mariconda, ein sehr bekannter und galanter Kavalier und seinerzeit in unsrer Stadt nicht wenig angesehen, vergnügte sich, als er hochbejahrt war, nach altem Brauch damit, unzählige und ausgezeichnete Geschichten zu erzählen, und brachte sie nicht ohne große Redegabe und mit unglaublichem Gedächtnis zum Vortrag. Unter anderm erinnere ich mich, daß ich ihn in meiner Kindheit als wahre Geschichte erzählen hörte, wie nach dem Tode Karls III. in unserm Königreiche ein großer und langwieriger Krieg ausbrach wieder wegen der Unterdrückungen, die das Haus Anjou beging; in dieser Zeit lebte in Neapel ein Edelmann aus Messina, der Wilfred Seccano hieß, ein sehr ergebener Anhänger des Hauses Durazzo. Eines Tages ritt er durch die Stadt, als er in einem Fenster ein wunderschönes Mädchen sah, die Tochter eines alten Kaufmanns, auf dessen Namen ich mich nicht mehr recht besinne; sie gefiel ihm über die Maßen gut, und er war sogleich heftig in sie verliebt. Und wie es ihrer beider gutes Glück wollte, als das junge Mädchen, das Carmosina hieß, merkte, daß sie dem Edelmann gefiel, und obwohl sie nie gewußt hatte, was Liebe sei, noch kaum je einen andern Mann gesehen hatte, da geschah es – ein vielleicht unerhörter Fall –, daß im selben Augenblick eine Flamme gleicherweise in zwei Herzen entbrannte, und zwar dermaßen, daß keiner mehr schien fortgehen zu können, während sie einander anstarrten; nach einiger Zeit schieden sie trotzdem, von Ehrbarkeit und Furcht bewogen, nicht ohne schwere und gleiche Pein voneinander.
Herr Wilfred erkannte, daß die Liebe sie beide unversehens überwältigt hatte, und daß nur die geeignete Gelegenheit fehlte, um ihren einmütigen Wünschen Genüge zu tun. Nach Art der Liebenden ging er zunächst ganz darin auf, herauszufinden, wer das Mädchen sei und wessen Tochter. Bald hatte er den Vater erfahren und hörte, daß er sehr alt, eifersüchtig und geizig über die Maßen war, und zwar so sehr, daß er, um von
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