Italienische Novellen, Band 1
und alle begannen verschiedene Gespräche über diesen Vorfall. Der König sah aus einem Fenster des Palastes alles mit an, ließ Stille gebieten und sprach so laut, daß er von den Zuschauern verstanden werden konnte, also: »Niemand erdreiste sich, über das, was soeben mit dem Falken geschehen ist, zu murren: denn alles ist aus gutem Grunde geschehen. Ich hege die feste Meinung, daß es die Pflicht jedes hochherzigen Fürsten ist, Tugend und Laster zu kennen, damit er tugendhafte und löbliche Handlungen ehren und die Laster strafen kann; sonst dürfte man ihn nicht König oder Fürst, sondern einen treulosen Tyrannen nennen. Darum habe ich, nachdem ich in dem toten Falken einen mit großer Rüstigkeit gepaarten Edelmut und Seelengröße erkannt, ihn mit einer Krone vom feinsten Golde ehren und belohnen wollen; denn nachdem er so mutvoll einen Adler getötet hatte, verdiente er, daß solches tapfere und wackere Benehmen belohnt wurde. Sodann aber im Hinblick darauf, daß er kühn, ja frech genug war, seinen König anzufallen und zu töten, schien es mir am Platze, daß er die verdiente Strafe für so große Verruchtheit empfange; denn es ist dem Diener nie erlaubt, die Hände mit dem Blute seines Herrn zu beflecken. Nachdem nun der Falke seinen und aller Vögel König umgebracht hat, wer wird mich mit Recht tadeln können, wenn ich ihm das Haupt abschlagen ließ? Gewiß niemand, dünkt mich.«
Dieses Urteil führten die Herren Richter an, als sie den Spruch taten, Ariabarzanes solle enthauptet werden. Und so verordneten sie in Übereinstimmung damit, daß zuerst Ariabarzanes wegen seiner Großmut und Freigebigkeit mit einem Lorbeerkranze gekrönt werden solle, damit seinem edeln Sinne gebührend Rechnung getragen werde; da er aber mit solchem Wetteifer, mit solchem festen Streben und beharrlichen Willen, ja mit der größten Anstrengung versuchte, es seinem Könige gleichzutun, mit ihm an Freigebigkeit zu wetteifern, ja es ihm zuvorzutun, sich über ihn zu stellen, und da er außerdem sich über ihn ausgelassen habe, solle ihm deshalb der Kopf abgeschnitten werden.
Als dem Ariabarzanes dieses strenge Urteil eröffnet wurde, hielt er mit der gleichen Seelengröße diesen giftigen Pfeil des Schicksals aus, wie er die früheren Schläge des ihm feindlich entgegentretenden Geschicks ertragen hatte; und er benahm und hielt sich in einer Weise, daß man kein Zeichen von Schwermut oder gar Verzweiflung an ihm bemerkte. Er sagte bloß mit heiterem Gesichte in Gegenwart von vielen andern: »Das einzige blieb mir noch zuletzt übrig: daß ich meinem Herrn auch Blut und Leben opfere! Ich tue es mit Freuden, und man soll daraus erkennen, daß ich eher sterben kann, als meiner gewohnten Freigebigkeit entsagen.«
Er ließ sofort den Notar rufen, machte sein Testament (denn nach den persischen Gesetzen war dies erlaubt), gab seiner Frau und seinen Töchtern Zuschuß zu ihren Mitgiften, vermachte seinen Verwandten und Freunden, was ihm angemessen schien, und hinterließ dem König eine große Summe köstlicher Kleinode. Cyrus, dem Sohne des Königs, seinem Eidam, vermachte er außer einer großen Summe Geldes alle seine Waffen zu Schutz und Trutz und alle Pferde, die er hatte. Zuletzt verordnete er, wenn seine Frau, die möglicherweise schwanger sein könnte, einen Knaben gebäre, sollte dieser sein Sohn sein Gesamterbe werden; wäre es eine Tochter, so solle sie wie die andern Töchter ausgestattet und der Rest unter die drei Schwestern zu gleichen Teilen geteilt werden. Ferner sorgte er dafür, daß alle seine Diener nach ihrem Range belohnt wurden.
Als dies den Tag vor seiner festgesetzten Hinrichtung nach persischem Brauche veröffentlicht wurde, war man allgemein der Ansicht, es sei kein freigebigerer und großmütigerer Mann jemals in diesem Lande und vielleicht in der ganzen Umgegend gewesen. Und außer einigen Neidischen, die bei dem Könige immer dahin gestrebt hatten, ihn zugrunde zu richten, zeigten alle andern großes Mißvergnügen darüber, daß er auf diese Weise sterben müsse. Niemand ohne Ausnahme war es erlaubt, wenn ein solches Urteil gefällt war, den König um das Leben des Verurteilten anzuflehen. Daher fühlten die Gattin und die Töchter des Ariabarzanes nebst seinen Verwandten und Freunden die größte Bekümmernis und weinten fortwährend Tag und Nacht.
Als der achte Tag kam – so lange hat ein Verurteilter Zeit, um seine Einrichtungen zu treffen –, wurde auf Befehl des Königs mitten auf dem
Weitere Kostenlose Bücher