Italienische Novellen, Band 1
diese Stunde im Hause und an einem so hohen Fenster von Madonna Gismonda gewollt habe. Da er bei der Amtseigenschaft des Fragenden hierauf nicht schweigen konnte und doch nicht wußte, was er sagen sollte, faßte er plötzlich bei sich den Beschluß, wenn die Zunge durch unüberlegte Worte gefehlt habe, so solle der Körper die Strafe dafür leiden. Ehe daher irgendwie die Ehre derjenigen befleckt würde, die er mehr als sein Leben liebte, entschloß er sich, sein Leben und seine Ehre in die Hand der Gerechtigkeit zu legen, und sprach: »Ich habe schon gesagt – und ich bin nicht gewillt, es zu widerrufen –, daß ich von den Fenstern des Hauses der Madonna Gismonda Mori herabgefallen bin. Und was ich um diese Stunde dort suchte, will ich Euch gleichfalls sagen, da ich doch jedenfalls des Todes bin. Ich dachte, daß Madonna Gismonda als junge Witwe keine Männer im Hause habe, um sich zu verteidigen, weshalb ich sie berauben könne; denn es heißt, sie sei sehr reich an Juwelen und Geld. Ich ging hin, um ihr alles zu stehlen; ich hatte durch besondere Werkzeuge eine Leiter am Fenster zu befestigen gewußt und stieg daran mit dem festen Vorsatze empor, jeden zu töten, der mir Widerstand leisten würde. Mein Unglück aber wollte freilich, daß die nicht wohl angebrachte Leiter unter meiner Last abriß und mit mir zu Boden fiel; ich meinte, mit der Strickleiter noch mein Haus erreichen zu können, und schleppte mich hinweg, wurde aber unterwegs, wo, weiß ich nicht, ohnmächtig.«
Der Nachtpolizeimeister, Messer Domenico Maripetro, erstaunte nicht wenig über dieses Bekenntnis und betrübte sich darüber um so mehr, als alle in dem Zimmer Anwesenden es vernommen hatten, und das waren, wie dies in einem solchen Falle geschieht, nicht wenige. Er wußte sich aber nicht anders zuhelfen und sagte: »Aloise, du bist doch ein gar zu großer Tor gewesen! Du dauerst mich sehr; aber ich bin dem Vaterland und meiner Ehre mehr Rücksicht schuldig als irgend jemand. Du bleibst deshalb hier unter der Aufsicht, die ich dir lassen werde. Wärest du nicht in dem Zustande, in dem ich dich finde, so würde ich dich augenblicklich, wie du es verdienst, in den Kerker abführen lassen.«
Er gab dem Jüngling eine starke Wache bei und verfügte sich unverweilt in den Rat der Zehn, der erlauchtesten und angesehensten Behörde in unserer Stadt, und da er die Herren des Rates gerade versammelt fand, erstattete er ihnen über das Ganze ausführlichen Bericht. Die Häupter des Rats, bei denen schon seit lange unzählige Klagen über mehrere freche Diebstähle, die in der Stadt nächtlicherweile verübt wurden, vorkamen, befahlen einem ihrer Hauptleute, Aloise Foscaro im Hause des Priesters unter sorgfältigster Obhut zu halten, bis er imstande sei, gerichtlich vernommen und durch Anwendung der Folter zum Bekenntnisse der Wahrheit genötigt zu werden, in der Annahme nämlich, daß man ihn ganz gewiß als den Urheber oder mindestens als den Hehler vieler anderer begangener Räubereien ansehen könne.
Es kam sodann die Angelegenheit des Girolamo Bembo zur Sprache, der im Schlafzimmer Anselmo Barbadicos, und die dieses Anselmo, der im Schlafzimmer Girolamos um Mitternacht halbnackt aufgegriffen und gefangengesetzt worden war. Da man aber über andere, ungleich wichtigere Dinge zu verhandeln hatte, wie z. B. über den Krieg, den man mit Filippo Maria Vesconte, Herzog von Mailand, führte, so ward beschlossen, sie auf ein andermal zu vertagen und die Gefangenen inzwischen vernehmen zu lassen. Der Fürst war fortwährend im Rate gegenwärtig gewesen und einer von denen, die am strengsten gegen den Neffen gesprochen hatten. Nichtsdestoweniger fiel es ihm schwer, zu glauben, daß sein Neffe als ein so reicher und feingebildeter Mann, wie er war, sich zu dem verächtlichen und gemeinen Laster des Diebstahls erniedrigt haben sollte. Er trug deshalb in seinem Sinn mancherlei Bedenklichkeiten und brachte zuletzt die Wahrheit von seinem Neffen heraus, da er Gelegenheit fand, im tiefsten Geheimnis mit ihm sprechen zu lassen. Auf der andern Seite bekannten Anselmo und Girolamo, als sie von dem dazu verordneten Beamten des Rates befragt wurden, was sie jeder in des andern Hause um solche Stunde gesucht hätten, daß sie, nachdem sie Aloise Foscaro oftmals zu ungewöhnlicher Stunde vor ihren Häusern haben vorübergehen sehen, in dieser Nacht zufällig und unabhängig voneinander bemerkt hätten, wie er vor diesen stehenbleibe; sie seien beide der
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