Italienische Novellen, Band 2
ihr Liebster im Hause blieb, solange es ihr behagte, ohne daß der Alte je etwas merkte oder merken wollte.
Luigi Alamanni
1495–1556
Die Gräfin von Toulouse
Als Languedoc noch nicht unter der Herrschaft der goldenen Lilien stand, lebte in Toulouse ein Graf, namens Renatus, den die Natur in vielen Dingen und unter andern vornehmlich darin begünstigte, daß er die schönsten und wohlgezogensten Kinder besaß von allen französischen Fürsten; außer zwei Söhnen hatte er eine Tochter, die jünger als diese war und von allen, die sie sahen, für eines der schönsten, sittsamsten und anmutigsten Fräulein gehalten wurde, die man in jener Zeit sehen konnte. Nur darin war ihm der Himmel nicht sehr günstig, daß seine Frau, die Schwester des damaligen Grafen von Provence, mit der er äußerst vergnügt lebte, noch ehe sie ihr fünfunddreißigstes Lebensjahr zurückgelegt hatte, durch den Tod aus seinen Armen gerissen wurde zu seinem und des ganzen Landes herbstem Schmerze. Als sie dem Tode nahe war, rief sie den Grafen, ihren Gemahl, zu sich, und nachdem sie ihn demütig um Verzeihung gebeten hatte für alle Beleidigungen, die sie ihm wahrscheinlich gar nie zugefügt, empfahl sie ihm in Tränen gebadet ihre Kinder, vor allen aber die Tochter Bianca, und fügte bei, sie bitte ihn als um die letzte Gunst, die er ihr in diesem Leben erweisen möge, um das bestimmteste Versprechen, das er ihr mit dem aufrichtigen Vorsatz, es als unverbrüchliches zu betrachten, geben müsse, nämlich, daß er seine Tochter mit keinem Manne vermählen wolle und wäre es der König von Frankreich selbst, wenn sie nicht selber, nachdem sie ihn zuvor gesehen und kennengelernt, sich damit einverstanden erkläre.
»Einem jungen Mädchen,« fügte sie hinzu, »kann man kein schöneres Geschenk machen, als wenn man ihr freistellt, nach ihrem Wunsche den Genossen zu wählen, der unzertrennlich in einem Bunde mit ihr leben soll, welchen nur Schmach oder der Tod lösen darf.«
Als der Graf die liebevollen und billigen Bitten seiner teuren Gattin gehört und wohl überlegt hatte, daß es ihre letzten Worte sein werden und seinerseits die letzte Freundlichkeit, die er ihr erweisen könne, so gab er ihr unter vielen Tränen und Beteuerungen das Versprechen, es solle geschehen, wie sie wünsche. Er tröstete sie, obgleich er mehr im Falle war, Trost zu bedürfen, als ihn zu gewähren, und sah, während er sie in den Armen hielt, die Seele aus dem geliebten Körper entfliehen, den er sodann mit den Ehrenbezeugungen, wie sie einer solchen Fürstin gebührten, in der Hauptkirche von Toulouse beisetzen ließ, wo das Grab noch heutigentags zu sehen ist.
Zu derselben Zeit, da Katalonien noch nicht in die Gewalt des Königs von Aragon und Kastilien gekommen war, war Graf von Barcelona ein Don Ferrando, der teils wegen der Nachbarschaft, teils aus Gründen der Eifersucht des Ruhmes lange in Fehde lebte mit dem Grafen von Toulouse. Bei den zahllosen und äußerst blutigen Schlachten, die sie sich lieferten, war bald der eine im Nachteil, bald der andere; dieser war vom König von Spanien, jener vom König von Frankreich unterstützt. Doch wie wir das täglich sich ereignen sehen, daß Fehden, welche die Fürsten aus eitlem, unüberlegtem Ehrgeiz begonnen, am Ende ein Ziel finden durch Überdruß und Erschöpfung beider Teile, so merkten auch diese nur zu spät und zu ihrem gemeinsamen Schaden, daß ihr Kriegführen am Ende keine andere Wirkung habe, als daß sie, indem sie sich arm machen, ihre Nachbarn bereichern und ihren Feinden Freude machen. Sie verständigten sich deshalb in einem Vergleiche, der nach der Ansicht der Unterhändler keines von beiden Ehre oder Vorteil beeinträchtigte. Und um den neuen Freundschaftsbund enger zu schließen, wurde für sehr passend erklärt, wenn die alten Waffen, die mit dem neuen Frieden zur Ruhe gekommen, durch eine neue Verwandtschaft auf ewig abgestumpft würden, in Anbetracht namentlich, daß, wie der Graf von Toulouse unter all seinen Kindern nur eine einzige Tochter habe, ebenso dem von Barcelona unter seinen dreien nur ein einziger männlicher Nachkomme geblieben sei. Es brauchte daher nicht viele Worte, um dieses Ehebündnis zu verabreden, und als Mitgift wurde ausgemacht, wie manche behaupten, Salces und Perpignan, nach andern aber Gold und Geld, was ihm von dem Grafen von Provence, der in jener Zeit durch das gute Regiment Romeos zu großen Reichtümern gelangt war, auf einige benachbarte Güter bei Arles und
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