Italienische Novellen, Band 3
unwillkürlich an das Fenster gezogen wurden durch ein Geschrei, das um so mehr ihre Neugierde reizte, je heftiger es war. Sie sahen das Leben Assirdos, ihres Nachbarn, von vielen Schwertern bedroht, während er sich mit einer für seine Jahre ungewöhnlichen Kühnheit verteidigte. Die Jugend und Schönheit Assirdos flößte Eudosias Gemüt ein plötzliches Mitleid ein. Daher befahl sie ihren Dienern, ihn in das Haus zu bringen, und befreite ihn dadurch aus den Händen jener Meuchelmörder, die ihn an einer Hand und besonders schwer an der Seite verwundet hatten und nahe daran waren, ihn umzubringen. Assirdo nahm nach kurzer Begrüßung die Aufforderung an, sich in ein Bett zu legen. Man rief seine Mutter herbei, welche seine Heilung mit ihrer Pflege unterstützte; die Ärzte erlaubten ihm aber nicht, dieses Haus zu verlassen, um nicht durch die Bewegung und die Luft seine Wunden gefährlicher zu machen.
Wiewohl Dercella die Liebe nicht einmal dem Namen nach kannte, ließ sie sich doch so sehr ihr Herz beim ersten Anblick von Assirdo gefangennehmen, daß sie verliebt war, ehe sie noch merkte, daß sie liebe. Und da sie sich dieses ersten Dranges nicht erwehren konnte, lauschte sie bald mit begierigem Ohr den Reden der Ärzte, bald befragte sie die Mägde, bald wußte sie sich, obgleich mehrmals von der Mutter getadelt, Eintritt in das Zimmer zu verschaffen, indem sie dem Wunsche, ihn zu sehen, die Maske ganz verschiedener Vorwände lieh. Die Nacht steigerte ihre Bewegungen noch mehr; denn da der Schlaf nicht mächtig genug war, ihre Unruhe in Schlummer zu lullen, ließ sich ihr Herz von einer wirren Masse von Gedanken beherrschen. Und wenn einmal die Augen von Müdigkeit, wo nicht vom Schlafe überwältigt nachgaben, so mußte sie sie doch gleich wieder öffnen, um den Schreckbildern zu entfliehen, die sie noch mehr im Schlaf als im Wachen peinigten.
Dercella schwebte mehrere Tage in diesem Liebeswahnsinn, bis Assirdo, dessen Heilung fortschritt, in sein eigenes Haus hinübergebracht wurde. Er hatte oftmals in den Augen des Kindes Zeugnisse mehr von Liebe als von Mitleid gelesen; aber selbst noch unerfahren, verbannte er alle diese Gedanken, die ihn überzeugen konnten, daß er geliebt sei, als sündhaft. Angelockt jedoch von den Reizen jener Schönheit, die jede Kühnheit entschuldbar machen kann, und noch immer zu Hause gehalten, um seine Gesundheit sich erst wieder befestigen zu lassen, wich er nicht von einem Fenster, das nach der Wohnung der Dercella hinüberging. Hier wurde er leicht von ihr entdeckt, welche, von tausendfacher Liebesungeduld getrieben, nichts anderes wünschte als ihn zu sehen. Sie fand ein Mittel, ein Fenster dem ihres Geliebten gegenüber zu öffnen, das von der Eifersucht der Mutter mit gutem Vorbedacht verschlossen gehalten worden war, und hatte nun Gelegenheit, ihn nach Herzenslust anzuschauen, nicht aber noch, ihn zu sprechen: denn daran verhinderte sie entweder ihre eigene Sittsamkeit oder die Furcht vor der Mutter.
Auch er war vor lauter Liebe stumm geworden und trug alle Verrichtungen der Zunge auf die Augen über. Endlich aber gewann er es über sich, einem Blatte seine Leidenschaft einzuhauchen, und schrieb also:
Mein Fräulein!
Die Liebe, welche mir gewaltsam die Zunge fesselt, bewegt mir jetzt mit derselben Tyrannei die Hand. Sie zwingt mich, mit diesen Zeilen Euch die längst eingegangene und mit den Augen beschworene Lehenspflicht meines Herzens zu beurkunden. Es brauchte wohl große Gewalt dazu, um mich zu einer Erklärung zu bewegen, die in Anbetracht der Vortrefflichkeit Eures Verdienstes nicht anders als verwegen genannt werden kann. Die Schönheit, welche ein Abglanz ist des göttlichen Lichtes, verschmäht es, mit gemeinen Worten der Menschheit verehrt und angebetet zu werden. Ich weiß das ganz gut, aber es ist nicht in meiner Gewalt, anders zu handeln. Genehmigt denn, o Schöne, diesen Ausdruck eines Herzens, das sich mehr Eurer Herrschaft rühmt als seines eigenen Wesens. Bekräftigt mit Eurer Antwort die Hoffnungen, die, wie ich weiß, imstande sind, das Leben zu erhalten Eures innigst ergebenen und verbundenen
Assirdo.
Ohne Schwierigkeit förderte er diesen Brief in die Hände Dercellas, denn er paßte die Gelegenheit ab, wo sie unter dem Fenster stand, um ihr ihn zierlich in den Busen zu schleudern. Das Mädchen, nicht weniger neugierig als verhebt, verabschiedete sich mit den Augen und lief hinweg, um ihn zu lesen. Während aber ihre ganze Seele auf jenen
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