Italienische Novellen, Band 3
somit Gefahr laufen, sich zugrunde zu richten, wenn er, den sinnlichen Gelüsten folgend, die Einladung hätte annehmen wollen.
Diesen Gründen fügte er noch so viel andere bei, daß sie, vereint mit der geringen Lust Assirdos selbst, ihn zu dem Entschluß brachten, das Unternehmen ganz aufzugeben, um so mehr, da nur ungern und schwer seine Mutter ihm erlaubt hätte auszugehen. Der Graf verabschiedete sich kurz darauf unter dem Vorwand von Geschäften, und als die Nacht kam, stand er schon an der Gartentür Eudosias, die ihn mit offenen Armen empfing, in der Meinung, es sei Assirdo, während er seinerseits nicht minder in der Annahme getäuscht war, es sei Dercella. Nach einigen kurzen Begrüßungen mit gedämpfter Stimme, da beide erkannt zu werden fürchteten, zogen sie sich, ohne Licht zu sehen, in ein Gemach im Erdgeschosse zurück, wo sie auf einem kostbaren Pfühl den Sinnen freien Spielraum gewährten, die Früchte der Liebe zu genießen.
Unterdessen glaubte Dercella ihre Mutter nicht in Wollust, sondern in Schlaf versenkt; sie verließ daher ihr Bett, das ihr verhaßt geworden war, weil es ihr die Ruhe verweigerte, und trat an das Fenster in demselben Augenblicke, wo auch Assirdo, von nicht geringerer Unruhe getrieben, dahin kam. Dercella stieß hin und wieder einen Seufzer aus, teils wegen der von der Mutter erduldeten Schmähung, teils weil sie das Ende ihrer Liebe herbeiwünschte, da sie einen so unglücklichen Anfang genommen hatte. Assirdo, in der Überzeugung, diese Seufzer kommen daher, daß er ihrem Anliegen nicht entsprochen habe, tat sich Gewalt an und sagte zu ihr: »Mein Fräulein, ich weiß nicht, muß ich mich über das Geschick beklagen oder über meine Unwürdigkeit, daß ich die Gunst der Liebe nicht empfangen kann?«
Dercella glaubte, er wolle ihr darüber Vorwürfe machen, daß sie ihm nicht geantwortet habe, und versetzte: »Die Liebe ist größer als alle Dinge, und wenn sie in meinen Erwiderungen sich selbst unähnlich ist, so kann ich darüber nur das Geschick anklagen, welches will, daß ich ohne Hoffnung liebe.«
Er antwortete: »Es gibt keine Liebe ohne Hoffnung, denn an ihr allein erkennt sie den wahren Bestand ihres Wesens.«
»Und was wollt Ihr«, fuhr sie fort, »daß ich hoffe, wenn alle Unfälle sich zu meinem Schaden vereinigen, um mich in Verzweiflung zu stürzen?«
Er versetzte: »Wenn Euch volle Gegenliebe zuteil wird, reicht Euch das also nicht hin, in Euerm Herzen eine vollkommene Ruhe zu befestigen?«
»Aber wer versichert mich dessen«, fügte sie bei, »da die Versprechungen der Liebenden gemeiniglich das Spiel der Winde sind?«
»Ich«, fiel Assirdo ein, »indem ich mich ganz Euch weihe.«
»Das sind Worte«, sagte Dercella, »die in der Luft zerfließen, wie sie daraus gebildet sind.«
»Ich würde sie gern mit der Tat bekräftigen«, antwortete er, »wenn ich glaubte, nicht wegen meiner Kühnheit bestraft zu werden.«
»Und wie würdet Ihr das anstellen?« fragte sie.
»Ich möchte«, erwiderte er, »auf einem Brette in Euer Zimmer hinüberkommen, um unsere Liebe zu Ende zu führen und mein Herz zu retten von dem Schiffbruche der Hoffnung und der Furcht.« Dercella hielt ein wenig inne, als wäre sie im Zweifel, ob sie dieses Anerbieten abweisen oder annehmen solle. Sodann sagte sie zu ihm: »Auf einen so wichtigen Vorschlag habe ich nicht den Mut, so plötzlich zu antworten.«
Er, der durch die Kraft der Liebe alle Furcht in einem Augenblicke von sich geworfen und sich in einem kecken Aufraffen angekleidet hatte, das noch größer ward, da er sich so übermäßig geliebt sah, versetzte ihr: »Wer so vorsichtig sein will, liebt nicht. Liebe läßt keine langen Überlegungen zu, und in Liebesangelegenheiten geht alles verloren, was verschoben wird. Hier ist kein Mittelweg: entweder müßt Ihr meinen Vorschlägen beistimmen, oder bekennen, daß Ihr nicht liebt.«
Dercella antwortete: »Wiewohl mein Verlangen, die Eurige zu werden, bei weitem größer ist, als ich auszudrücken vermag, so werde ich doch niemals sagen, daß Ihr Euch entschließen sollt, durch dieses Fenster herüberzukommen, um nicht ebenso meinen guten Ruf wie Euer Leben in Gefahr zu setzen.«
Assirdo überlegte, daß diese Worte eine Einladung enthielten, wenngleich sie als Weigerung erschienen, legte ein Brett hinüber an Dercellas Fenster und kam in ihr Zimmer. Nach einigem verstellten Unwillen mit Abweisungen, welche in der Tat einluden, befriedigte sich Dercella und ließ ihn die
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