Italienische Novellen, Band 3
keine Silbe hervorbrachte. Er weinte vor Rührung und hätte seine Tochter gern umarmt und ihr das liebe Kind abgenommen, wenn dem Armen nicht die Hände gebunden gewesen wären.
Rinieri, der dabei war, um dem Schwiegervater den Kopf abschlagen zu sehen, und seine Frau lebendig und mit dem wunderschönen Söhnlein auf den Armen erblickte, erkannte sie sogleich. Wie närrisch lief er auf sie zu und umarmte sie vor allem Volk nebst dem Kinde, und auch sie umarmte ihn. Daraus erkannte denn jedermann, daß es die Tochter des Messere Horatio und daß der Jüngling ihr Gatte war. So kamen aus Freude und Mitgefühl allen die Tränen in die Augen.
Der Gerichtshauptmann tat dem Papste den Vorfall zu wissen, der denn höchlich verwundert Messere Horatio und die andern vor sich führen, sich alles einzelne genau erzählen ließ und Gott lobte, daß die junge Frau so zeitig eingetroffen sei. Er tadelte die Tochter, daß sie ohne Wissen ihres Vaters sich vermählt habe, und Messere Horatio, daß er darum sie hatte ans Messer liefern wollen. Am folgenden Tag aber ließ er ein kostbares Mahl bereiten und die unter den zwei Liebenden heimlich geschlossene Ehe von neuem in seiner Anwesenheit feierlich einsegnen nach vorangegangener Zustimmung des Vaters. Dieser ließ seiner Tochter und seinem Enkel all sein Vermögen als Erbgut und ging, der Welt satt, in ein Mönchskloster, wo er sein Leben fromm beschloß. Rinieri aber lebte mit Cicilia fortwährend in glücklicher Eintracht, und beide dankten Gott, daß er sie nach solcher Bekümmernis für so große Wonne aufgespart.
Giovanni Battista Giraldi
Delio und Dafne
In der Stadt Ferrara, die zwar vielen andern Städten Italiens an Alter, keiner einzigen aber an innerem Werte und Berühmtheit nachsteht, teils wegen der Milde und Gerechtigkeit ihrer Beherrscher, teils wegen der Schönheit ihrer Lage, der Pracht ihrer Paläste, der Fruchtbarkeit des Landes, der Tugenden und Fähigkeiten der ausgezeichneten Geister, die in ihr blühten, lebte ein Jüngling namens Delio, von edler Familie und von guter Erziehung, der, als er kaum sieben Jahre alt war, anfing, in dem Hause eines Messer Gianni Mazzo, das der Wohnung seines Vaters schräg gegenüber lag, vertraut aus- und einzugehen. Es hatte dieser Edelmann eine reizende, anmutige Tochter von vierzehn Jahren, die, ich weiß nicht, ob wegen ihres eigentlichen Namens oder wegen der besonderen Reize, die man an ihr wahrnahm, von ihren Hausgenossen und der ganzen Nachbarschaft Dafne genannt wurde. Sooft nun Delio mit dieser Jungfrau sprach, scherzte sie mit ihm, angesehen daß er ein sehr artiger Knabe war, liebkoste ihn nach Mädchenweise und fragte ihn um dies und das. Delio stand zwar noch in zu frühem Alter, um das Feuer der Liebe in seiner Brust aufzunehmen, blieb aber doch immer gern bei ihr, scherzte gerne mit ihr, und wenn es einmal vorkam, daß die Jungfrau ihn in die Arme nahm, so meinte er eines Vorschmacks der Himmelsfreuden teilhaftig zu sein.
Während solchergestalt dieser Liebeshandel seinen Fortgang hatte, wuchs Delio zu dem Alter von vierzehn Jahren heran, und es ward aus dem kindlichen Wohlgefallen, das er an Dafne und ihrer Gegenwart empfand, in seinem Herzen allmählich eine so starke Leidenschaft, daß es vor krankhafter Sehnsucht nirgends mehr Ruhe fand als bei ihr. Er liebte und besuchte sie häufiger und heftiger als zuvor, und Dafne ging es ebenso, denn sie war für ihn entbrannt so gut als er für sie. Die beiden jungen Leute hielten nun zwar das Feuer in ihrer Brust verschlossen, aber doch merkten es die beiderseitigen Eltern. Deshalb wurde das Mädchen von den Ihrigen sorgfältiger als bisher gehütet, Delio aber fortan verboten, sie zu besuchen; und dies geschah nicht allein von Seiten des Mädchens, sondern auch von Seiten Delios. Denn sowie Delios Eltern fürchteten, die Liebe zu Dafne, die sie an ihm verspürten, möchte ihn von den philosophischen Studien abziehen, die sie ihn bereits hatten beginnen lassen, so begaben sie sich mit ihm auf einen zwölf Meilen von der Stadt entfernten Landbesitz und nahmen einen sehr geschickten Lehrer mit sich, damit er ihn auf dem bereits eingeschlagenen Pfade der Wissenschaft zu einem löblichen Ziele führe. Sie hielten dafür, durch Delios Entfernung von der Ursache seiner Liebe die ihn verzehrende Flamme erlöschen zu sehen.
Wie sich nun aber die Liebenden nicht nur der süßen Gewohnheit der Zwiesprache, sondern auch der Möglichkeit, sich zu sehen, beraubt fanden,
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