Italienische Verführung
nach einem Weg, aus seinem Blut Gewinn zu schlagen.“
„Einen solchen Ort instand zu halten, muss eine Menge kosten“, meinte Diana. Trotz der Laternen, die hie und da an der Wand hingen, war der Durchgang dunkel und unheimlich, und Diana schmiegte sich eng an Edward. „Es ist größer als irgendein Gebäude in England. Stellen Sie sich doch nur einmal vor, wie viele Scheuerfrauen man hier anstellen muss, um es zu reinigen.“
„Man kann es sich nur vorstellen, denn es geschieht nie“, erklärte Edward und gab sich keine Mühe, sein Missfallen zu verbergen. „Sie sehen ja selbst, wie die Römer diese Dinge haben verkommen lassen. Sie kümmern sich einfach nicht um ihr Erbe. Früher hatte diese Stadt Wasserleitungen und eine Kanalisation, die das heutige London beschämt hätten. Jetzt schauen Sie sich nur an, wie es heute hier aussieht. Man kann kaum atmen, so stinkt es überall. Man kann kaum glauben, dass diese armseligen neuzeitlichen Römer die Nachkommen Cäsars mächtiger heidnischer Rasse sind.“ Doch Diana war auch an diesem Abend nicht mehr an Cäsar interessiert, als sie es in den letzten zwei Tagen gewesen war.
„Ich hoffe, wir werden bald wieder den Mond sehen“, sagte sie in dem Versuch, das Gespräch auf interessantere Themen zu bringen. Das Mondlicht gefiel ihr besser als diese von schlecht riechenden Talglichtern kaum erhellten Gänge. Mondlicht war hell, romantisch und schmeichelte dem Aussehen. Außerdem erweckte es in den Männern zumeist den Wunsch, sie zu küssen. Und wenn es auch eine entzückende Abwechslung war, einmal von einem Mann respektiert zu werden, so fand sie es dennoch an der Zeit, dass Edward endlich einen Versuch unternahm, sie zu küssen. Nach allem, was er gesagt hatte, verdiente er einen Kuss. Aber er musste derjenige sein, der ihn verlangte. „Es ist beinahe Vollmond. Er sieht aus wie eine riesige Silbermünze.“
„Das sieht Ihnen wieder ähnlich, Mylady! Den Mond zu beachten!“ Sie konnte seine weißen Zähne sehen, als er sie nachsichtig anlächelte, als hätte sie etwas bemerkenswert Dummes gesagt. „Ich muss gestehen, meine Gedanken waren eben woanders und baumelten nicht dort oben am Himmel.“
„Der Mond baumelt nicht am Himmel, Mylord.“ Für einen in Geschichte bewanderten Gentleman war Edward bemerkenswert begriffsstutzig, wenn es sich um das Geschehen der Gegenwart handelte. „Der Mond geht auf einer vorgeschriebenen Bahn jede Nacht auf und unter, genau wie die Sonne am Tag.“
„Nun gut, ja, vermutlich tut er das.“ Mit einer knappen Verbeugung – aber keinem Kuss – führte er sie um eine weitere Ecke und dann hinaus ins Freie. „Da sind wir! Um das zu sehen, sind Sie nach Rom gekommen!“
Pflichtschuldig sah Diana sich um. Im Innern wirkte das Kolosseum viel größer als von der Kutsche aus. Es war ein enormer Ring aus Stein, brüchig und zernagt vom Zahn der Zeit. Die Hälfte der Mauer mit ihren Bogenreihen war zusammengebrochen wie eine zerschlagene Teetasse, und auf niedrigen Podesten, die früher wohl Bänke oder Sitze gewesen waren, wuchsen jetzt Grasbüschel und Wildblumen. Mit Laternen in den Händen wanderten andere Besucher mit ihren Führern über die verschiedenen Ränge. Ihre Gestalten wirkten im grauen Halblicht wie ziellos umherschweifende Geister. Diana war enttäuscht. Wenn das Kolosseum bei Mondlicht der romantischste Ort in Rom war, wie alle Fremdenführer behaupteten, dann hatten diese Fremdenführer jedenfalls eine ganz andere Vorstellung von Romantik als sie.
„Wo fanden die Kämpfe und die Vorführungen statt?“,fragte sie, während sie nach unten blickte. Der Boden dort unten war durchzogen mit einem Labyrinth offener Gänge, das keinerlei Ähnlichkeit mit den Kupferstichen in ihrem alten Geschichtsbuch hatte. „Das sieht eher wie ein Marktplatz mit Buden für die Bauern aus als nach einer Arena für Kämpfer.“
„Das liegt daran, dass wir jetzt sehen, was früher einmal Tunnel waren, durch welche die Gladiatoren und die wilden Tiere in die Arena kamen“, erklärte Edward eifrig. „Früher hatte man Holzbohlen darübergelegt, eine Art Bühne. Diese Bohlen waren mit Sand bedeckt, der das vergossene Blut der Sterbenden aufsog. Oh, stellen Sie sich doch nur dieses Schauspiel vor, Mylady. Von hier aus spornten sechzigtausend laut schreiend den tödlichen Kampf an.“
„Lieber nicht“, seufzte Diana. Edwards männliche Blutrünstigkeit glich doch sehr der grenzenlosen Begeisterung ihres Vaters für das
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