Ja, Liebling
habe ich doch noch eine richtige Nichte. Ich meine, nicht nur eine Stiefnichte, sondern eine ganz eigene Nichte, die mir zugehört und nicht zu Hervey.«
An diesem Abend steckte sie die Kinder trotz aller Proteste früh ins Bett, dann sahen sie gemeinsam die alten Fotos durch. Annette sagte: »Mein Gott, was warst du hübsch. Ich bin überhaupt nicht wie du, und dein Mann sah auch sehr gut aus.«
»Ja, ich habe ihn sehr bewundert. Armer Hervey! Schade, daß er später fett geworden ist, weil ihm das Essen so gut schmeckte. Aber er war bis zuletzt ein sehr gut aussehender Mann.«
»Es kommt mir fast lächerlich vor, daß du meine Tante sein sollst. Dazu bist du viel zu jung.«
»Ach, daran habe ich mich gewöhnt. Sogar an die Großtante. Aber wie herrlich, daß du hier bei mir bleibst. Annette, mir ist gerade jetzt erst eingefallen, daß das Haus zur Hälfte dir gehört.«
»Mir? Wieso das denn?«
»Wenn mein Vater — dein Großvater meine ich — von dir gewußt hätte, dann hätte er dir deinen Anteil an der Farm vererbt. Er war ein schwieriger Mann und streitsüchtig, aber er liebte Bruce und blieb immer gerecht. Er hätte dir auf jeden Fall den Anteil deines Vaters vermacht.«
»O nein, daran möchte ich überhaupt nicht denken. Ich bin ganz zufrieden, daß ich jetzt eine eigene Tante habe. Das Haus habe ich immer geliebt, du hast es inzwischen so schön hergerichtet, aber es hat nichts mit mir zu tun — nur daß mein Vater es auch geliebt hat.«
Insgeheim beschloß Margaret, sobald wie möglich zu Mr. Ellerton zu fahren und ihn zu bitten, die Sache irgendwie zu regeln. »Ich freue mich, daß ich wieder junges Blut im Hause habe. Es ist fast, als ob Cecily hier wäre. Am liebsten wäre es mir, du bliebst immer hier.« In einer plötzlichen Eingebung fügte sie hinzu: »Annette, wäre das nicht möglich? Könntest du nicht hier wohnen und mit dem Bus ins Büro fahren? Mußt du bei Mrs. Adams bleiben?«
Das Mädchen zögerte. »Um ganz ehrlich zu sein, ich glaube, Mrs. Adams wäre froh, wenn ich ginge. Sie ist so nett, aber sie bekommt schon wieder ein Baby und hat sehr wenig Platz. Sie hat noch kein Wort gesagt, aber es wäre für sie viel einfacher. Ach, Tante Margaret...«
»Bitte, nenn mich nicht Tante. Die anderen tun es auch nicht, und das sind schließlich nur meine Stiefnichten.«
»Es klingt auch albern, weil du so jung bist.«
»Bleiben wir lieber beim Vornamen wie damals, als ich so krank war. Wollen wir es versuchen? Ich glaube, wir werden sehr gut miteinander auskommen.«
»Ich will gern kommen. Allerdings unter einer Bedingung«, fügte sie energisch hinzu. »Du läßt mich meinen Anteil an den Kosten selbst bezahlen. Ich muß das tun, das verstehst du doch, nicht wahr?«
Margaret widersprach mit der Begründung, daß Annette als ihre Nichte genauso hier zu Hause sei und hier wohnen könne wie Cecily, und daß sie es sich auch leisten könne. Aber Annette blieb fest, so kamen sie schließlich zu einem Kompromiß.
»Wegen der teuren Hochzeit wollte ich ohnehin ein Zimmer möbliert vermieten. Machen wir es so für eine Weile: Du ziehst als >möblierte Dame< bei mir ein. Aber nur als kleine, verstanden?«
Annette verstand. Sie mußten beide lachen und kamen überein, daß Annette in einer Woche einziehen sollte. Überglücklich gingen sie beide zu Bett. Als Margaret auf die Uhr sah, merkte sie, daß es erst zehn war. Sie mußte einfach David alles erzählen, auch wenn Mrs. Sharpe kritisieren würde, daß man als anständige Frau unmöglich um diese Zeit noch einen jungen Mann anrufen könne.
Glücklicherweise war er gleich selbst am Apparat. Sie begann etwas unzusammenhängend: »Ach David, ich bin so schrecklich aufgeregt. Annette kommt zu mir.«
Er konnte darin nichts Aufregendes sehen. Annette war ein nettes Mädchen, aber wozu das Getue. Er fragte: »Sie kommt zu dir? Ich dachte, sie wäre schon fürs Wochenende bei dir. Ich habe mir schon überlegt, ob ich sehr störe, wenn ich morgen mal vorbeikomme.«
»Natürlich nicht. Du mußt kommen und alle Neuigkeiten erfahren. Annette kommt auch... ich meine, sie ist hier und sie kommt. Sie ist meine Nichte, und sie wird meine möblierte Dame.«
Sehr geduldig fragte er: »Fühlst du dich auch wirklich wohl? Oder hat dich diese schreckliche Grippe wieder gepackt? Nimm ein paar Aspirin und sag Annette, sie soll dir eine heiße Zitrone dazu machen.«
Bei den Nichten kam noch weniger heraus. Als Annette am nächsten Tag mit den beiden
Weitere Kostenlose Bücher