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Jack McEvoy 01 - Der Poet

Jack McEvoy 01 - Der Poet

Titel: Jack McEvoy 01 - Der Poet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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Deckung.
    Von meiner Position aus konnte ich Thorsons Körper sehen. Der größte Teil seines weißen Hemdes war mit Blut getränkt. Er bewegte sich nicht. Seine Augen waren halb geschlossen und starr. Der Griff des Messers ragte aus seiner Kehle. Dieser Anblick jagte mir einen Schauder über den Rücken. Vor ein paar Minuten hatte der Mann noch gelebt. Ich hatte ihn gekannt, ob ich ihn nun mochte oder nicht. Und jetzt war er tot.
    Dann kam mir der Gedanke, dass Backus in Panik geraten sein musste. Vielleicht wusste er noch gar nicht, was mit Thorson passiert war. Wenn er glaubte, dass Thorson am Leben war und es eine Chance gab, ihn zu retten, war damit zu rechnen, dass das Einsatzkommando jeden Augenblick mit Schockgranaten und Ähnlichem angriff. Wenn sie allerdings davon ausgingen, dass Thorson tot war, dann tat ich gut daran, mich auf eine lange Nacht einzurichten.
    »Sie arbeiten nicht hier«, sagte Gladden zu mir. »Wer sind Sie? Kenne ich Sie?«
    Ich zögerte. Wer ich war? Sollte ich diesem Mann die Wahrheit sagen?
    »Sie sind vom FBI.«
    »Nein, ich bin nicht vom FBI. Ich bin Journalist.«
    »Journalist? Sie sind sicher wegen meiner Story hier, stimmt das?«
    »Wenn Sie sie mir erzählen wollen? Wenn Sie übrigens mit dem FBI reden wollen, legen Sie den Hörer da unten wieder auf die Gabel. Die rufen über diese Leitung an.«
    Er betrachtete das Telefon. Es war auf den Boden gefallen, als er den Schreibtisch umgekippt hatte. Er konnte es erreichen, ohne seine Deckung zu verlassen. Er zog den Apparat zu sich und legte den Hörer auf. Dann sah er mich an.
    »Ich kenne Sie«, sagte er. »Sie ...«
    Das Telefon läutete, und er nahm den Hörer ab.
    »Reden Sie«, befahl er.
    Es folgte ein langes Schweigen, bevor er endlich reagierte.
    »Ah, Agent Backus, wie schön, abermals Ihre Bekanntschaft zu machen! Ich habe eine Menge gelernt, seit wir uns in Florida begegnet sind. Unter anderem natürlich von Ihrem Dad. Habe sein Buch gelesen. Ich hatte immer gehofft, dass wir uns wieder einmal würden unterhalten können ... Sie und ich ... Nein, das wäre unmöglich, weil ich hier zwei Geiseln habe. Wenn Sie Mist bauen, Bob, dann nehme ich mir die beiden vor, und zwar auf eine Weise, dass Sie Ihren Augen nicht trauen, wenn Sie hier reinkommen. Erinnern Sie sich an Attica? Denken Sie darüber nach, Agent Backus. Denken Sie darüber nach, wie Dad diese Sache angehen würde. Das war’s.«
    Er legte den Hörer auf und sah mich an. Dann zerrte er die Perücke vom Kopf und schleuderte sie wütend durch den Laden.
    »Wie, zum Teufel, sind Sie dazugestoßen, Reporter? Das FBI lässt doch ...«
    »Sie haben meinen Bruder umgebracht. Deshalb bin ich hier.«
    Gladden schaute mich für einen langen Moment an.
    »Ich habe niemanden umgebracht.«
    »Die wissen über Sie genau Bescheid. Ganz gleich, was Sie uns antun, die haben Sie, Gladden. Und die werden Sie hier nicht herauslassen. Sie ...«
    »Okay, halten Sie die Schnauze! Keine Lust auf Ihr Gequatsche.«
    Gladden nahm den Hörer ab und wählte eine Nummer.
    »Ich will mit Krasner sprechen, es ist dringend ... William Gladden. Ja, genau der.«
    Während er darauf wartete, dass der Anwalt an den Apparat kam, sahen wir uns unverwandt an. Ich versuchte, Gelassenheit zur Schau zu stellen, aber mein Gehirn lief auf Hochtouren. Ich sah keine Möglichkeit, hier herauszukommen, ohne dass noch jemand starb. Gladden schien nicht der Typ zu sein, den man dazu bringen konnte, aufzugeben, damit man ihn in ein paar Jahren auf den elektrischen Stuhl schnallen oder in die Gaskammer schicken konnte, je nachdem, welcher Staat ihn zuerst bekam.
    In den nächsten zehn Minuten lieferte Gladden Krasner einen hitzigen Bericht über die Situation, in der er sich befand, und reagierte wütend auf jede Vorgehensweise, die Krasner ihm vorschlug. Schließlich knallte er den Hörer auf die Gabel.
    »Scheißkerl!«
    Ich verhielt mich still. Ich ging davon aus, dass jede weitere Minute für mich von Vorteil war. Das FBI traf draußen garantiert irgendwelche Vorkehrungen. Die Scharfschützen, der Sturmtrupp.
    Es wurde dämmrig. Ich sah durch die Schaufensterscheibe zum Einkaufszentrum auf der anderen Straßenseite hinüber. Meine Augen suchten das Dach ab, aber ich sah keine Gestalten, nicht einmal den verräterischen Lauf eines Scharfschützengewehrs. Noch nicht.
    Plötzlich wurde mir bewusst, dass auf dem Pico Boulevard keine Autos mehr fuhren. Sie hatten die Straße abgeriegelt. Bald würde etwas passieren,

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