Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen
schmerzverzerrt. Pierce wünschte, er könnte etwas für ihn tun.
»Hören Sie lieber auf, sich ständig zu bewegen; sprechen Sie nicht mehr. Warten Sie einfach auf den Notarzt.«
Aber Renner hörte nicht auf ihn.
»Übrigens, diese Geschichte, die Zeller erzählt hat? Wie Sie Ihre Schwester gefunden haben und niemandem was davon erzählt haben?«
Pierce nickte.
»Machen Sie sich deswegen keine Vorwürfe mehr. Jeder trifft seine Entscheidungen allein. Jeder entscheidet für sich, welchen Weg er einschlägt. Verstehen Sie?«
Pierce nickte wieder.
»Okay.«
Das laute Schnalzen der Schleusentür ließ Pierce, aber nicht Renner zusammenzucken. Gonsalves kam in das Labor.
»Sie sind schon unterwegs. Alle. Der Notarzt müsste in vier Minuten hier sein.«
Renner nickte und blickte zu Pierce hoch.
»So lange halte ich es noch aus.«
»Na, Gott sei Dank.«
Pierce sah Gonsalves an.
»Haben Sie Vernon angerufen?«
»Ja, er ist schon unterwegs.«
»Gut. Warten Sie oben auf alle, und bringen Sie sie dann runter.«
Nachdem der Wachmann gegangen war, fragte sich Pierce, wie Clyde Vernon auf die Ereignisse in dem Labor reagieren würde, für dessen Sicherheit er zuständig war. Der ehemalige FBI-Mann würde bestimmt implodieren vor Ärger. Er würde damit fertig werden müssen. Das galt für sie beide.
Pierce ging zu dem Schreibtisch, auf dem Cody Zellers Leiche lag. Er schaute auf den Mann hinab, den er so lange gekannt hatte, obwohl er ihn, wie er jetzt merkte, eigentlich gar nicht gekannt hatte. Ihn erfasste fast etwas wie Trauer. Er fragte sich, wann sein Freund die falsche Richtung einzuschlagen begonnen hatte. War es schon in Palo Alto gewesen, als sie beide Entscheidungen für ihre weitere Zukunft getroffen hatten? Oder erst in jüngerer Vergangenheit? Er hatte zwar gesagt, sein Motiv sei Geld gewesen, aber Pierce war sich nicht sicher, ob der Grund wirklich so exakt und vollständig zu bestimmen war. Das war etwas, worüber er in nächster Zeit noch lange nachdenken würde.
Er drehte sich um und schaute zu Renner, der schwächer zu werden schien. Er stand weit nach vorn gebeugt da. Sein Gesicht war sehr blass.
»Alles in Ordnung? Sie sollten sich vielleicht lieber auf den Boden legen.«
Der Polizist ignorierte Frage und Rat. Er war in Gedanken immer noch bei dem Fall.
»Dass sie alle tot sind, ist wirklich zu blöd«, sagte er. »Gut möglich, dass wir jetzt Lilly Quinlan überhaupt nicht mehr finden. Ihre Leiche, meine ich.«
Pierce ging zu ihm und lehnte sich gegen einen Schreibtisch.
»Da gibt es, äh, ein paar Dinge, die ich Ihnen noch nicht erzählt habe.«
Renner sah ihn lange an.
»Das habe ich mir schon gedacht. Schießen Sie los.«
»Ich weiß, wo die Leiche ist.«
Renner sah ihn lange an, dann nickte er.
»Das hätte ich wissen sollen. Wie lange schon?«
»Nicht lange. Erst seit heute.«
Ärgerlich schüttelte Renner den Kopf.
»Sie haben hoffentlich eine gute Begründung. Erzählen Sie schon.«
40
Pierce saß in seinem Büro im zweiten Stock und wartete darauf, erneut mit den Detectives zu sprechen. Es war Freitagmorgen sechs Uhr dreißig. Unten im Labor waren noch die Ermittler von der Gerichtsmedizin an der Arbeit. Die Detectives warteten auf das Zeichen, dass auch sie nach unten kommen durften, und vertrieben sich die Zeit damit, Pierce über den genauen Ablauf der Ereignisse im Keller des Firmengebäudes auszuquetschen.
Nach einer Stunde hatte Pierce erklärt, er brauche eine Pause. Er zog sich aus dem Sitzungssaal, in dem die Vernehmungen durchgeführt wurden, in sein Büro zurück. Er hatte nicht mehr als fünf Minuten mit sich allein, dann steckte Charlie Condon den Kopf zur Tür herein. Er war von Clyde Vernon aus dem Bett geholt worden, und der war natürlich von Rudolpho Gonsalves aus dem Bett geholt worden.
»Henry, kann ich reinkommen?«
»Klar. Mach die Tür zu.«
Condon kam in das Büro und sah Pierce mit einem leichten Kopfschütteln an, das fast ein Zittern war.
»Wahnsinn!«
»Ja. Das ist es allerdings.«
»Hat dir jemand gesagt, was mit Goddard passiert?«
»Bisher nicht. Sie wollten wissen, in welchem Hotel er und Bechy abgestiegen sind, und ich habe es ihnen gesagt. Ich denke, sie wollten hinfahren und sie wegen Mitverschwörung oder so was verhaften.«
»Weißt du immer noch nicht, für wen sie gearbeitet haben?«
»Nein. Das hat Cody nicht gesagt. Für einen seiner Kunden, schätze ich mal. Aber das werden sie
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