Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen
hörte das Rollen der Schiebetür, die auf den Balkon hinaus führte, dann streifte die kühle Luft vom Meer seine Haut.
»Wa–«, brachte er heraus.
Plötzlich war die harte Schulter, die gegen seinen Bauch gedrückt hatte, weg, und er begann mit dem Kopf voran in die Tiefe zu fallen. Seine Muskeln spannten sich, und sein Mund öffnete sich, um den letzten verzweifelten Laut seines Lebens auszustoßen. Dann endlich spürte er, wie die mächtigen Pranken seine Fußgelenke packten und festhielten. Sein Körper schlug heftig gegen den rauen Strukturbeton der Hausfassade.
Aber wenigstens fiel er nicht mehr.
Ein paar Sekunden vergingen. Pierce hob die Hände an sein Gesicht und betastete Nase und Augen. Die Haut auf seinem Nasenrücken war vertikal und horizontal aufgeplatzt und blutete sehr stark. Es gelang ihm, sich die Augen auszuwischen und sie halb zu öffnen. Zwölf Stockwerke unter sich konnte er den grünen Rasen des Strandparks sehen. Dort unten waren Leute auf Decken, hauptsächlich Obdachlose. Er sah sein Blut in dicken Tropfen auf die Bäume direkt unter ihm fallen.
»He, du da unten. Kannst du mich hören?«
Pierce sagte nichts, und dann begannen die Hände, die seine Fußgelenke gepackt hielten, heftig zu rütteln, sodass er immer wieder gegen die Fassade schlug.
»Hörst du zu?«
Pierce spuckte einen Mund voll Blut an die Außenwand. »Ja, ich höre.«
»Gut. Inzwischen weißt du ja wahrscheinlich, wer ich bin.«
»Ich glaube schon.«
»Gut. Namen können wir also aus dem Spiel lassen. Ich wollte mich nur vergewissern, dass es, was das angeht, keine Missverständnisse gibt.«
»Was wollen Sie?«
Es war schwer, mit dem Kopf nach unten zu sprechen. In seinem Rachen und an seinem Gaumen sammelte sich Blut.
»Was ich will? Also, zuerst wollte ich mir dich mal ansehen. Wenn einem so ein Heini zwei Tage lang am Arschloch rumschnüffelt, dann will man doch wissen, wie er aussieht, oder? Das wäre das eine. Und dann wollte ich dir was klar machen. Zwei-Meter.«
Pierce wurde abrupt hochgezogen. Immer noch mit dem Kopf nach unten, befand sich sein Gesicht jetzt auf Höhe des Balkongeländers. Durch die Gitterstangen sah er, dass sich der Sprecher gebückt hatte, sodass sich ihre Gesichter, nur durch das Geländer getrennt, direkt gegenüber befanden.
»Ich wollte sagen, dass du nicht nur die falsche Nummer gekriegt hast, Freundchen, sondern die falsche Welt. Und du hast genau dreißig Sekunden Zeit, um dich zu entscheiden, ob du dorthin zurück willst, wo du herkommst, oder ob du in die nächste Welt willst. Verstehst du, was ich dir sage?«
Pierce nickte und begann zu husten.
»Ich … verstehe … ich … ich kann einpacken.«
»Du kannst allerdings einpacken. Eigentlich sollte ich meinem Mann da sagen, er soll dich blödes Arschloch einfach loslassen. Aber ich will keinen Ärger mit den Cops, und deshalb werde ich das nicht tun. Aber eins muss ich dir sagen, Schlauberger, wenn ich dich noch mal beim Rumschnüffeln erwische, wirst du fallen gelassen. Ist das klar?«
Pierce nickte. Darauf griff der Mann, von dem Pierce ziemlich sicher war, dass es Billy Wentz war, durch das Geländer und tätschelte Pierce grob die Wange.
»Dann sei mal schön brav.«
Er richtete sich auf und gab Zwei-Meter ein Zeichen. Pierce wurde über das Geländer gezogen und auf den Balkon fallen gelassen. Er fing den Sturz mit den Händen ab und robbte in eine Ecke. Er sah zu den zwei Männern hoch.
»Tollen Blick hast du hier«, sagte der kleinere Mann. »Was zahlst du hier Miete?«
Pierce schaute aufs Meer hinaus. Er spuckte einen Klumpen verdicktes Blut auf den Boden.
»Dreitausend.«
»Mannomann! Dafür kann ich drei Scheißwohnungen bekommen.«
Pierce, der sich inzwischen am Rand einer Bewusstlosigkeit befand, versuchte die Wolken abzuschütteln, die ihn umhüllten. In diesem Moment kam ihm der Gedanke, dass es jetzt, abgesehen von der Drohung gegen ihn, vor allem darauf ankam, Lucy LaPorte zu schützen.
Er spuckte weiteres Blut auf den Boden des Balkons.
»Was ist mit Lucy? Was werden Sie mit ihr machen?«
»Mit Lucy? Wer ist Lucy?«
»Ich meine, Robin.«
»Ach, unsere kleine Robin. Weißt du, Henry, das ist eine gute Frage. Robin bringt nämlich einen Haufen Geld. Da muss ich vernünftig sein. Was sie angeht, muss ich mich beherrschen. Aber mach dir mal keine Sorgen, egal, was wir mit ihr anstellen, es wird keine Spuren hinterlassen, und in spätestens zwei, drei Wochen wird sie wieder so gut wie neu
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