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Jack Taylor auf dem Kreuzweg

Jack Taylor auf dem Kreuzweg

Titel: Jack Taylor auf dem Kreuzweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Bruen
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Zu Hause waren seine Eltern und seine Schwester Maria. Ein paar Tage lang kamen Nachbarn, brachten Essen, sagten: »Herzliches Beileid«, und hatten herzlich wenig zu sagen. Wie er gestorben war, am Kreuz, da gab es keinen Kommentar. Was hatte man denn schon zu bieten, an Trost?
    »So ist er besser dran.«
    »Die Zeit heilt alle Wunden.«
    »Nur noch hundert verkaufsoffene Tage bis Weihnachten.«
    Es war leichter, nicht hinzugehen, also füllte sich das Haus allmählich mit Schweigen. Maria war untröstlich. Sie fühlte sich besonders schlecht, weil sie ihrem älteren Bruder Rory immer nähergestanden hatte. Rory war in England. Sie war neunzehn und hatte ihr erstes Auto, einen gebrauchten Datsun mit reichlich Meilen auf dem Tacho. Maria war ein unansehnliches Mädchen, und alle Schminke der Welt schien nur zu schreien: Heiland, ist sie unansehnlich. Aber wenn sie sich hinter das Steuer setzte, kam sie sich vor, als würde sie mitspielen, als wäre sie wichtig. Manchmal sogar, als könnte sie hübsch sein. Sie arbeitete für eine Baufirma in der Stadt, und die hatten ihr gesagt, sie könne so oft freinehmen, wie sie wünsche. An einem Montagmorgen war sie nach Salthill gefahren, hatte an der Promenade geparkt und den Ozean betrachtet. Sie mochte es, wenn das Wetter rau war, die Wildheit des Meeres wirkte wie Balsam auf ihr gepeinigtes Herz. Hätte sie in den Spiegel gesehen, hätte sie ein Mädchen auf einer Bank bemerkt, ein Mädchen mit dunklem Haar, ein Mädchen mit Wahnsinn in den Augen. Das Mädchen beobachtete Maria mit grimmiger Intensität. Von Zeit zu Zeit murmelte das Mädchen: »Du wirst brennen, Zicke.«
    Mein Telefon klingelte, und mein Anwalt war dran. Er sagte, ein Auktionator habe angefragt, ob ich erwöge, meine Wohnung zu verkaufen.
    Meine erste Reaktion war auf gar keinen Fall, aber aus Quatsch fragte ich, wie viel denn geboten sei, und ging, als ich den Betrag hörte, fast zu Boden.
    Ich staunte: »Für eine Wohnung?«
    Ich konnte es nicht glauben.
    Er sagte: »Residenzen in Stadtmitte sind wie Goldstaub, und mit so einer Investition können Sie gar nicht verlieren.«
    Mein ganzes benebeltes Leben lang hatte ich spontane Entschlüsse gefasst, meist schlechte. Jetzt sagte ich: »Okay, machen wir’s.«
    Er war so überrascht wie ich, fragte: »Sind Sie sicher?«
    »Natürlich nicht, aber verkaufen Sie sie trotzdem.«
    Ich hatte lange darüber nachgedacht, mein Leben tief greifend zu ändern. Wenn ich so weitermachte wie bisher, brachte Galway mich um – hatte es auch schon um Haaresbreite geschafft. Einfach so beschloss ich, nach Amerika zu gehen. Seit Jahren hatte ich gesagt, ich würde das liebend gern tun – jetzt konnte das mit einigem Stil geschehen, nach Florida hinunter, reiche Witwe finden, in der Sonne liegen.
    Florida befand sich in den Fängen seines vierten Hurricanes, und ich plante einen Besuch. Entsprach dem Lauf meines Lebens. Zuerst wollte ich nach New York, die Stadt in mich aufsaugen, dann runter nach Vegas abhauen und dann nach Süden. Vielleicht sogar nach Mexiko. Mein Herz pochte, meine Handflächen waren mit Schweiß bedeckt, und mir wurde klar, dass mich der Gedanke an ein neues Leben aufregte. Gott, wie lang war es her, dass ich mich wegen irgendwas erhitzt hatte? Ich würde für Wellewulst einen Blick auf die Kreuzigungskiste werfen, sehen, ob ich das lösen konnte, und dann Abflug, den ganzen Scheiß hinter mir lassen.
    Ich sah im Telefonbuch nach, rief ein Reisebüro an, reservierte einen Flug Shannon–New York. Legte auf und dachte: »Das machst du jetzt tatsächlich.«
    Stimmte ja auch.
    Von wem würde ich mich verabschieden? Fast alle, die ich kannte, waren auf dem Friedhof. Ich sah auf die Uhr. Ich wollte etwas trinken, um zu feiern, hielt mich aber an meine verrückte sensorische Abmachung. In meinem Kopf wirbelten die Gedanken. Es soll ja Schnelldenker geben, aber meine Gedanken beschleunigten sich bis zur Lichtgeschwindigkeit. Gedanken ans Fliegen, wie eine gute Portion kristallines Meth, hatten mein gesamtes zerbrechliches Nervensystem elektrisiert. Mexiko, das musste ich überdenken, da ich gerade erst Kem Nunns Roman Tijuana Straits gelesen hatte. Er schrieb, dass da unten echt schlimme Scheiße passierte, und ich fragte mich, wäre das so anders als mein gegenwärtiges Leben?
    Ich würde natürlich mit leichtem Gepäck reisen. Was ich besaß, ließ sich in einen Umschlag stecken und abschicken.
    Zuerst musste ich mit den Eltern des toten Jungen sprechen.

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