Jack Taylor auf dem Kreuzweg
Ich kannte das, ich war in genau so einem aufgewachsen. Der kleine Garten war gepflegt, ein paar Rosensträucher trotzten dem Schlimmsten, was der Nordatlantik zu bieten hatte. Ich steckte mir ein Pfefferminzbonbon in den Mund. Wenn man der Welt mitteilen möchte, dass man getrunken hat, nehme man eins. Das ist wie Hallo, ich will mir nicht anmerken lassen, dass ich getrunken habe. Obwohl ich nicht getrunken hatte. Alte Gewohnheiten leben lang. Fragen Sie die Sinn Féin.
Ich klopfte einmal, nahm dann sicherheitshalber noch ein Pfefferminzbonbon.
Ein Mann Ende sechzig öffnete die Tür. Er war klein, mit weißem Haar, und er hatte so was Besiegtes, schwarze Ringe unter den Augen.
»Mr Willis?«
Er starrte mich an. »Ja.«
Ich wollte gleich loslegen, aber er sagte: »Ich kenne Sie.«
Ich wartete, fragte mich, ob er die Tür zuknallt, aber er lächelte ganz leicht, wobei sich seine Lippen zusammenzogen, als hätte der Mund vergessen, wie Lächeln geht.
»Sie sind der Mann, der die Schwäne gerettet hat.«
Und dann, bevor ich reagieren konnte, sagte er: »Kommen Sie bitte herein.«
Er führte mich in eine dunkle Garderobe, schloss dann leise die Tür. »Hier hinein, bitte.«
Ein blitzsauberes Wohnzimmer, mit einer selbstsicheren Flamencotänzerin auf dem Fernseh, Zeugin froherer Zeiten vielleicht. Ein Schränkchen mit Glasfront enthielt Trophäen, Fotos und eine Strecke Reader’s Digest.
Er bedeutete mir, ich solle mich setzen, und sagte: »Ich hole rasch meine Frau. Möchten Sie Kaffee, Tee oder vielleicht etwas Stärkeres?«
Ich lehnte dankend ab, was mir nicht leichtfiel. Ich bemerkte ein silbergerahmtes Foto, das Prunk- und Mittelstück auf dem Schränkchen, und ging etwas näher ran. Es zeigte drei Menschen: zwei junge Männer und ein Mädchen. Den toten Mann erkannte ich, und das Mädchen musste die Schwester sein, Maria, aber der zweite junge Mann? Ein Zitat von T. S. Eliot ging mir durch den Kopf … etwas über einen dritten Mann, der neben einem geht. Er hatte rotes Haar, aber die Ähnlichkeit mit den beiden anderen war deutlich, er musste ein Bruder sein. Ich murmelte: »Es gibt noch einen Bruder?«
Wie hatte er Wellewulst entgehen können? Ich musste ihn überprüfen.
Die Stille im Haus war beunruhigend. Der Vater kam mit einer Frau zurück, die noch besiegter aussah als er. Ihr Körper war in sich zusammengeklappt.
Sie streckte die Hand aus und sagte: »Freut mich, Sie kennenzulernen.«
Heiland.
Ich brummelte irgendein Klischee über ihren Verlust, und sie nickte. Ich warf einen Blick auf ihre Augen und wünschte, ich hätte es gelassen. Wenn es noch einen Schritt weiter geht als Angst, als Qual, dann war sie da angelangt. Wir standen herum, ein betretenes Trio, keiner wusste, was zu tun war.
Also versuchte ich es: »Ich hasse es, hier so einzudringen, aber ich untersuche die Umstände von Johns …« Und wenn es mein Leben gegolten hätte, wäre mir kein passendes Wort eingefallen – Tod, Ableben, Ermordung, alles zu schroff.
Anstatt mich zu fragen, mit welchem Recht ich tätig geworden sei, sagte sie: »Wir sind sehr dankbar.«
Aus Verzweiflung fragte ich, ob ich sein Zimmer sehen könne, und der Vater führte mich zu einem kleinen Hinterzimmer. Er sagte: »Wir haben nichts angerührt.«
Das Zimmer eines jungen Mannes: das Bett ungemacht, ein Bücherregal mit Autozeitschriften, ein CD -Player und ein Plattenregal. Ich stand da und fragte mich, was zum Teufel ich da machte.
Nach fünf Minuten ging ich zurück zu dem Paar und fragte: »Wie war John?«
Ein Schwall von Liebe und Zuneigung kam aus den beiden. Er war ein ganz normaler Bursche – spielte Fußball, arbeitete in einer Reparaturwerkstatt, hatte jede Menge Freunde.
Die Haustür ging auf, und ein Mädchen kam herein. Vom Foto auf dem Schränkchen wusste ich sofort, dass es die Tochter war. Einen Profiermittler täuscht man nicht so leicht.
Die Mutter sagte: »Wir lassen Sie mit Maria allein. Sie und John standen sich sehr nahe.«
Nachdem sie hinausgeschlurft waren, starrte das Mädchen mich an und fragte: »Was geht Sie das überhaupt an? Haben Sie John gekannt?«
Ich sagte, das nicht, aber da die Polizei nicht vorankäme, wollte ich sehen, ob ich vielleicht helfen könnte.
Sie ließ das auf sich wirken, fragte: »Werden Sie bezahlt?«
»Nein, aber …«
Sie war nicht zornig, nur verwirrt.
»Sie sind also nur ein lieber Mensch, der herumgeht, hilft, wo er kann, alles wieder ins Lot bringt, ja?«
Bevor ich antworten
Weitere Kostenlose Bücher