Jack Taylor auf dem Kreuzweg
»Ich werde mich sofort darum kümmern.«
Ich warnte: »Sollten Sie nicht erst mal schlafen? Ich meine, wenn die eine Wodkafahne wittern, ist das nicht so gut.«
Wild war ihr Gesicht, als sie sagte: »Die sollen sich gehackt legen.«
Sie gefiel mir sehr viel besser.
Ich zeigte auf den Schnaps. »Was soll ich damit?«
Ihre Augen waren wie Kohle. »Ihnen wird schon was einfallen.«
Sie gefiel mir weniger gut.
15
»Wenn du meinen Weg kreuzt,
bring ich dich um.«
Alte Drohung in Galway
D as Mädchen befingerte das kleine Silberkreuz, das sie um den Hals trug. Sie wusste, dass weder ihr Vater noch ihr Bruder die Bedeutung verstanden, die das Kreuz für sie und ihre Mutter gehabt hatte.
Ihre Mutter war eine glühende irische Katholikin gewesen, und dass sie einen Engländer geheiratet hatte, verstärkte ihre Leidenschaft nur noch. Immer und immer wieder hatte sie dem Mädchen gesagt: »Christus starb am Kreuz für unsere Sünden, und die Welt wird versuchen, dich zu kreuzigen, wenn du es zulässt.«
Logik spielte hierin keine große Rolle. Wenn man den irischen Glauben und dazu noch massive Schuldgefühle und eine Persönlichkeitsstörung hat, ist man reif für Symbole. Ihre Mutter war auf das Kruzifix fixiert, ihre Wohnung wimmelte von sich windenden Erlösern in allen Formen und Größen. Nur das Mädchen kannte den Ursprung dieser Besessenheit. Sie hatte es nie weitergesagt, und sie würde es auch jetzt nicht tun. Männer verstanden das sowieso nicht.
Das Mädchen stand auf. Sie hatte gekniet, gebetet, nicht zu einem katholischen Gott, sondern zu dieser neuen finsteren Macht, die ihr so viel Energie verlieh. Sie ging zum Spiegel, sah das Silberkreuz um ihren Hals glänzen, und aus dem Augenwinkel sah sie die inzwischen so vertraute Flamme, die sich in einer Ecke des Zimmers entzündete.
Whuuusch, das Rauschen.
Als sie sich umdrehte, um sie direkt anzusehen, war sie fort.
Das Mädchen lächelte.
Das Kreuz war keltisch, ihre Mutter hatte es ihr zum sechzehnten Geburtstag geschenkt, und die Mutter hatte gesagt: »Vergiss nie das Kreuz.«
Das Geheimnis ihrer Mutter, der ganze Grund für das Kreuz, kam ihr lebhaft in den Sinn. Sie konnte es sehen wie eine Szene aus einem Film. Sie war zwölf gewesen, immer noch ein Mamakind, und eines Abends, als sie früh nach Hause gekommen war, hatte sie ihre Mutter schluchzend in der Küche angetroffen, eine Sherryflasche (süß) leer auf dem Spülstein. Ihre Mutter trank sonst nie, und in diesem Ausnahmezustand hatte sie ihre Tochter umarmt, ihr gesagt, wie sie, bevor sie den Vater des Mädchens kennengelernt hatte, eine Abtreibung gehabt hatte, gesagt, es sei wie eine Kreuzigung gewesen, die reine Qual der Prozedur.
Dann hatte sie hinzugefügt: »Jeden Tag meines Lebens zahle ich für diese Sünde.« Und sie hatte ihre Tochter roh am Handgelenk gepackt, ihr wehgetan und sie gewarnt: »Wenn dir jemals jemand wirklich Schaden zufügt, gibt es nur eine Art der Buße. Weißt du, welche das ist?«
Das Mädchen, in Schrecken versetzt, hatte den Kopf geschüttelt, und Tränen waren ihr das Gesicht hinuntergelaufen. Die Mutter hatte gesagt, mit einer Stimme aus purem Eis: »Du nagelst ihn ans Kreuz, wie Unseren Herrn, und schlägst die Nägel mit aller Leidenschaft ein, die Unser Heiland uns aufgetragen hat.«
Donnerstagabend habe ich einen Mann umgebracht.
Glaube ich wenigstens.
Habe auf jeden Fall mein Bestes versucht.
Ich war in den Kintopp gegangen – tut mir leid, ich liebe dieses Wort. Sideways hatte gewaltige Kritiken gekriegt – Paul Giamatti hatte diese Arme-Sünder-Fresse, mit der ich mich total identifiziere, ein Woody Allen für die neue Verzweiflung. Aber dies ständige Weintrinken auf der Leinwand ging mir auf den Wecker. Ich war nie ein großer Weinheini gewesen, wollte immer schon meinen Schnaps, was Schnelles, was Tödliches. Ich bekam bereits einen Merlot-Geschmack im Mund, und mit meinem blöden Gehör, trotz Dolby-Digital-Stereo, hatte ich Schwierigkeiten, die ganzen schönen Dialoge mitzukriegen. Also trollte ich mich.
Als ich ging, sagte der Eintrittskartentyp: »Hat Ihnen nicht gefallen, was?«
Er hatte eins dieser abgekochten irischen Gesichter – rote Wangen, Hummermund, bleiche Haut, und trotzdem den amerikanischen Akzent.
»Hat mir zu gut gefallen.«
Er ließ mir einen Blick zuteilwerden, den Blick, der besagt: »Sieh an, sieh an, früh vergreist, geistig verwirrt.« Und sagte, als wäre er in Louisiana geboren: »Was immer Ihren mojo
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