Jack Taylor fährt zur Hölle
sie und verzog mich an den Ort, der einst mein Büro gewesen war. Harter Stuhl mit Tisch, Rücken zur Tür, und dachte:
»Trink die pint aus und fliehe.«
Jeff kam herüber, Tasse Kaffee in der Hand, fragte:
»… darf ich?«
»Klar.«
Er setzte sich dazu.
Fragte dann:
»Wo stehst du beim Thema Bob Dylan?«
»Hauptsächlich im Dunklen.«
Kopfschütteln, falsche Antwort.
Zweiter Versuch:
»Sieh mal kurz auf Don’t Look Back zurück, den Dokumentarfilm über seinen Englandbesuch 65, als er jung und schön war. Hier ist er, wird gerade vierundzwanzig, und alle Berühmtheiten mit all ihrem Glamour küssen ihm die Füße. Er ist das auf vollkommenste Weise hippe Geschöpf auf Erden.«
Jeff hält inne, vom schieren Wunder dieses Bildes gefangen genommen. Schüttelt den Kopf, fährt fort:
»Stell dir vor, wie du damit fertigwürdest. Nur zehn Prozent davon, und du wärst hinüber. Aber Dylan wird damit fertig und sagt dem Mann vom Time-Magazin: ›Sie werden sterben. Sie werden tot sein. Das kann in zwanzig Jahren sein, das kann morgen sein, jederzeit. Ich auch. Ich meine, wir werden einfach weg sein. Die Welt wird ohne uns weitergehen, angesichts dessen machen Sie Ihren Job, und wie ernst Sie sich nehmen, entscheiden Sie selbst.‹ Das ist die Dylan-Haltung. Sechsunddreißig Jahre später ist er immer noch in der Endzone, entschieden unbeeindruckt von dem ganzen Radau, den er ununterbrochen erzeugt und ertragen hat.«
Jeff trank von seinem Kaffee, Schweißperlen auf der Stirn. Mr Cool, Mr Lässig, Mr Zurückgelehnt hatte Leidenschaft entwickelt. Bevor ich das sagen konnte, sagte er:
»Das ist nicht von mir; das hat Michael Gray geschrieben, ein Dylan-Chronist aus alter Zeit.«
»Und du? Hast es auswendig gelernt?«
Er kriegte meinen Ton mit, verteidigte sich:
»Ja und, was dann?«
»Komm, Jeff, du warst Musiker, an Dylans Ära verdammt nah dran. Auch du hast überlebt.«
Das Kneipenradio setzte ein, und »Lola« von den Kinks ertönte. Wir lächelten beide. Vielleicht war das der letzte Kommentar zu uns.
Als würde gefragt:
»Hätt’st du’s gewusst?«
Ich sagte:
»Hast du das Buch von Ray Davies gelesen?«
»Als hätte ich nicht schon genug eigenen Kummer.«
Ich hatte die pint ausgetrunken und ging mit mir zurate, ob es noch eine sein soll, als er sagte:
»Weißt du, wie es ist, wenn man ein Kind mit Down-Syndrom hat?«
Ich hatte keine Ahnung, sagte:
»Ich habe keine Ahnung.«
»Würdest du es gern wissen?«
Bevor ich antworten konnte, griff er in seine Jeans, holte ein zusammengefaltetes Stück Papier heraus, sagte:
»Da erfährst du es.«
»Hast du es geschrieben?«
»Nein, ich lebe es.«
Dann war er aufgestanden, sagte:
»Ich habe eine Bierlieferung. Wenn ich nicht da bin, schmeißen sie die Fässer auf dem ganzen Hof herum.«
Ich faltete das Stück Papier auf, las:
Willkommen in Holland
Von Emily Pearl.
Es war ein langer Text über die Planung einer Reise nach Italien. Ergeht sich in Einzelheiten, wie aufregend der Trip ist. Genau der Trip, den man sein ganzes Leben lang geplant hat. Man hat sogar die Sprache gelernt und die Sehenswürdigkeiten festgelegt, die man immer schon sehen wollte. Aber als das Flugzeug landet, ist man in Holland, und verwirrt fragt man sich, wie kann das passieren? Alle Vorbereitungen hatten Italien gegolten. Nachdem sich der erste Schock gelegt hat, beginnt man langsam, die Wunder Hollands zu sehen, so anders sie auch sind als alles, worauf man sich gefreut hatte. Man muss die neue Sprache lernen und alle Erwartungen der neuen Landschaft anpassen. Allmählich beginnt man die Vorzüge Hollands zu genießen, obwohl man seinen Blickwinkel gründlich verschieben muss. Beizeiten beginnt man, Holland tatsächlich zu lieben, was man nie geglaubt hätte.
Ich saß da, mein Herz in Fetzen. Ich wollte die pint nicht mehr. So oder so, hatte ich das Gefühl, hatte auch ich mein Leben lang Italien nachgetrauert.
Ich tat das Einzige, was ich konnte. Ich ging los und kaufte einen Strauß Tulpen für Cathy.
»Der Wissensdurst ist wie eine Mausi,
von der man weiß, dass man ihr nicht nachsteigen sollte;
am Ende steigt man ihr doch nach.«
George P. Pelecanos, Down by the River Where the Dead Men Go
A m Freitagabend kam ein junger Mann aus seinem FÁS-Kurs. Es ging ihm gut. Er hatte etwas Bares auf Tasche und wollte sich im Cuba mit den Jungs treffen.
Nicht in Kuba, sondern im Cuba, dem Nachtklub.
Ein Summen war in der Luft, mit all den leeren Versprechungen
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