Jade-Augen
ihren Armen trug sie ein großes Bündel. Annabel begrüßte sie freundlich auf Paschtu, erhielt jedoch keine Antwort. Stumm streckte ihr das Mädchen die Sachen entgegen. Sie wirkte wie jemand, der verzweifelt gerne die Flucht ergriffen hätte, als ob irgendeine Ansteckungsgefahr bestehe.
Annabel sah die Kleidungsstücke an und verstand warum. »Wir brauchen die Sachen nicht zu bezahlen«, sagte sie dumpf zu Kit, als dieser ihr das Geld hinhielt. Auf ihrem Gesicht lag ein merkwürdiger Ausdruck, und er sah sie verständnislos an.
»Wieso nicht?«
Sie antwortete nicht sogleich, sondern sagte auf Paschtu etwas zu dem Mädchen, dessen Augen über dem Schleierrand gehetzt im Raum umherjagten. Sie antwortete mit leiser, ängstlicher Stimme, entbot hastig ihren Gruß und verschwand auf die Straße.
»Was ist denn los? Warum wollte sie nicht bezahlt werden?«
»Das sind meine Kleider«, erklärte Annabel noch immer in dem gleichen dumpfen Tonfall. »Man bezahlt nicht, was einem bereits gehört.«
»Du sprichst in Rätseln.« Ungeduld schwang in seiner Stimme mit, doch es war die Ungeduld, die aus Angst erwächst.
Sie kehrte in das Speisezimmer zurück und legte ihr Bündel auf den Tisch zwischen die Teetassen. »Akbar Khan hat mir meine eigenen Kleider geschickt.«
»Was?« Er starrte sie entgeistert an. »Ich verstehe nicht.«
»Wir haben doch gestern abend von Spionen geredet, nicht wahr?« Noch immer schwang in ihrer Stimme und in ihrer Miene diese Benommenheit. »Ich weiß nicht, warum ich nicht an die logische Erweiterung gedacht habe. Natürlich hat er seinen Spionen aufgetragen, auch von mir zu berichten. Jetzt hat er es wirklich deutlich gemacht, daß er von meiner Anwesenheit im Kantonnement weiß.«
»Das Mädchen hat also ihre Verbindung zu dir Akbar Khan gemeldet, und er hat entschieden, dich selbst mit Kleidung zu versorgen?«
»Fällt dir eine andere Erklärung ein?« Sie begann, den Stoß zu sortieren, Kaschmir, Seide, Pelz glitten durch ihre Finger. »Sieh nur, er hat sogar meine Reitkleider und Stiefel geschickt.« Sie hielt die flaumweiche Lederhose hoch, die Lederjacke mit dem Pelzfutter und die polierten Stiefel, die eigens ihren Füßen angepaßt worden waren. »Und den Chadri. «
»Warum?« Diese aus einem Wort bestehende Frage war alles, was er hervorbringen konnte, während er auf den glänzenden Reichtum der Stoffe blickte, die sich vor ihm ausbreiteten.
Ihr Mund formte das Zerrbild eines Lächelns, freudlos, wissend. »Das ist einfach seine Art, mich daran zu erinnern, daß ich an ihn gebunden bin, ganz egal, was ich tue. Daß ich im Eigentlichen von ihm abhänge und von seiner Großzügigkeit.« Sie kreuzte die Arme vor der Brust, als würde sie sich selbst umarmen. »Und daß seine Großzügigkeit zu jedem beliebigen Augenblick zurückgezogen werden kann.« Ein Unterton müder Resignation schwang in ihrer Stimme mit. »Das ist der Grund, warum er diese Dinge geschickt hat. Der Falke wird auf seine Beute niederstoßen, wenn er selbst den Zeitpunkt für gekommen hält.«
Kit versuchte die Woge von Hilflosigkeit, die ihn aller Energie und Entschlußkraft berauben wollte, abzuschütteln. Aber er konnte vor der Wahrheit nicht die Augen verschließen, vor der entsetzlichen Erkenntnis, gefangene Kreaturen in dem Gehege Akbar Khans zu sein. »Ich werde es nicht zulassen, daß er dir weh tut«, hörte er sich selbst sagen, obwohl er wußte, wie lächerlich es klang.
Sie schüttelte den Kopf, aber kein Spottwort, das er gefürchtet hatte, entfuhr ihr. »Du wirst genauso leiden wie ich, Kit, und ich werde genausowenig dazu in der Lage sein, dich zu beschützen wie du mich.«
»Kehre jetzt nach Kabul zurück«, sagte er drängend. »Ich bin hier sowieso schon verloren, aber du bist es nicht. Ich bin verantwortlich für deine Lage. Ich möchte, daß du zu ihm zurückkehrst.«
Sie sagte mild: »Aber das möchte ich nicht. Ich habe dir meine Wahl mitgeteilt. Nichts hat sich geändert. Und wer weiß?« Sie zuckte die Schultern, und ihre Stimme wurde lebendiger. »Das Schicksal mag etwas anderes für uns bereithalten. Laß es uns abwarten.«
»Du und dein verdammtes Schicksal«, sagte Kit, aber aus irgendeinem Grund fehlte die Erbitterung, die er meinte auszudrücken. Er konnte in seiner Stimme nur Erleichterung und eine ihm neue Art von Freude hören.
Auch Annabel bemerkte es, und auch ihr Lächeln enthielt keine Bitterkeit. »Na ja, wenigstens werde ich nicht frieren müssen«, bemerkte sie
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