Jade-Augen
Erschöpfung. Schon konnte man die Ankündigung des Wintermorgens in dem grauer werdenden Nachthimmel erkennen. Sie hatten das Fort die ganze Nacht lang angegriffen, ohne Erfolg. Die Sturmabteilung der Kavallerie unter seinem Kommando befand sich hinten, bereit, in dem Moment loszuschlagen, in dem die Artillerie die Brustwehr gesäubert hätte, was ihr bisher eindeutig nicht gelungen war.
»Blase zum Rückzug«, befahl Major Griffith, und ein Seufzer der Müdigkeit löste sich von seinen Lippen. Dann fügte er lebhafter hinzu: »Aber bei Gott, beim nächsten Mal werde ich es nehmen. Ralston, übernehmen Sie das Kommando über die Geschützmannschaft, ja? Ich werde Sie so gut es geht decken lassen.«
Des Trompeters klagender Ruf klomm empor über dem Krachen der Musketen, und Kit galoppierte zu dem Geschütz und seiner dem Zusammenbruch nahen Mannschaft. Er leitete das Aufprotzen des Geschützes und das Anschirren der Gespanne, bemühte sich dabei, seine Stimme zuversichtlich klingen zu lassen, um die Kavalleristen zu ermutigen, während das tödliche Feuer der Jezails weiterhin wütete, jetzt noch vernichtender, seit das britische Geschütz schwieg. Ein Karree Infanterie bot so viel Rückendeckung, wie nur möglich war, aber ihre Musketen waren von geringem Nutzen gegen die Jezails der Afghanen. Schließlich war das wertvolle Geschütz aufgeprotzt, das Gespann angeschirrt, und der Rückzug konnte beginnen.
Die erschöpfte, stark verminderte Truppe wankte bei Tagesanbruch durch das Tor des Kantonnements. Sie wurden über die Ebene hinweg von einer triumphierenden Horde fanatischer Ghazi verfolgt, die sie mit Beleidigungen und Gewehrschüssen eindeckten und erst bei der Kanalbrücke kehrtmachten, die von einer Einheit Kavallerie gehalten wurde.
»Sollten sich lieber Ihre Hand verbinden lassen«, bemerkte Griffiths, als sie auf dem Exerzierplatz abstiegen. »Sind Sie heute abend bei einem weiteren Versuch dabei?«
»Auf jeden Fall«, sagte Kit in ehrlicher Überzeugung und genausowenig wie der Major dazu bereit, sich durch die verschwendeten Menschenleben der zurückliegenden Nacht von einer nächsten Attacke abhalten zu lassen. »Aber wir brauchen zwei Geschütze.«
Während er sprach, suchten seine Augen bereits den Platz ab, wo langsam wieder Ordnung eintrat, als die Verwundeten in die Krankenstation und die Pferde in ihre Ställe gebracht wurden. Er sah sie auf der gegenüberliegenden Seite des Exerzierplatzes im Schatten stehen, eingehüllt in ihren weißen Chadri, und er konnte spüren, wie ihre jadegrünen Augen ihn durch die weißen Seidenmaschen des Ru -Bandes hindurch verschlangen. Er hob eine Hand zum Zeichen, daß er sie gesehen hatte, und sie grüßte ihn nach muslimischer Tradition mit einem Salaam, bevor sie sich abwandte und den Platz verließ.
Eindeutig hat sie nun ihre Lektion der Zurückhaltung gelernt, dachte er mit einem inwendigen Lächeln, das viel dazu beitrug, seine knochentiefe Erschöpfung zu lindern. Das Taschentuch um seine Hand war inzwischen so mit Blut getränkt, daß es das Nachfließen nicht mehr verhindern konnte, aber er entschied sich, mit einem Besuch in der Krankenstation noch zu warten; es gab jetzt Dringenderes zu tun.
»Irgendwelche weiteren Befehle, Major?« fragte er förmlich und stieg ein wenig ungelenk vom Pferd.
Griffith schüttelte den Kopf. »Ruhen Sie sich aus, und wir versuchen es heute abend wieder. Es sei denn, die Hand bereitet Ihnen Schwierigkeiten.«
»Das bezweifle ich.« Kit salutierte mit seiner gesunden Rechten und machte sich mit einer Energie auf den Heimweg, die er nach einer solchen Nacht nicht für möglich gehalten hätte.
Annabel stand in der geöffneten Eingangstür, als er in die Straße einbog. »Ich wäre sehr wütend geworden, wenn du nicht sofort zu mir gekommen wärst«, schalt sie, aber der Ton ihrer Stimme strafte die Worte Lügen, und ihre Augen umfingen ihn mit Wärme.
»Ich kann dich doch nicht auf der Straße umarmen«, protestierte er, als sie ihre Arme für ihn öffnete. »Du warst so wunderbar diskret auf dem Exerzierplatz. Mach es jetzt nicht kaputt.« Er hielt seine verletzte Hand hinter dem Rücken verborgen und versetzte ihr mit der anderen einen zärtlichen Klaps auf den Po, um sie ins Haus zu weisen.
»Habt ihr das Fort erstürmt?«
»Nein«, antwortete er. »Es war ein blutiges Schlachtfeld! Aber wir werden heute nacht einen zweiten Versuch unternehmen. Wenn wir zwei Feldgeschütze gehabt hätten, wäre es anders
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