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Jade-Augen

Jade-Augen

Titel: Jade-Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Feather
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drang Lachen vom großen Haupthof zu ihr nach oben. Sie stellte sich wieder auf ihr Bett und schaute aus dem Fenster. Ein Blindekuhspiel war dort unter den Geiseln im Gange, und die Erwachsenen waren ebenso eifrig dabei wie die Kinder. Sie beobachtete, wie ein etwa zehnjähriges Kind, die Augen verbunden, mit einem frohlockenden Aufschrei nach Kit griff. Lachend warf Kit das Kind erst in die Luft, bevor er ihm die Augenbinde abnahm und sie selbst anlegte.
    Annabel fühlte sich einsamer als je zuvor in ihrem Leben.
    Es blieb dabei. Einmal am Tag wurde sie zu den Geiseln gebracht, um ihre Beschwerden und Bitten anzuhören, oft wegen Kleinigkeiten, aber ihre Bewacher schienen nicht zu merken, daß es Vorwände waren, um ihren Besuch zu ermöglichen. Sie konnte Kit ansehen. Sie beobachtete, wie sich die Engländer auf ihren selbstgefertigten Unterlagen Brettspiele einfallen ließen, hörte den Kindern bei ihrem Unterricht zu. Sie teilte Lady Sale die winzigen Informationsbruchstücke mit, die sie von Zobayeda, ihrer Dienerin, und ihren Bewachern, die sie bei den erlaubten Spaziergängen begleiteten, hatte aufschnappen können: Daß Shah Soojah in Kabul ermordet worden war; daß General Pollock von Peshawar nach Jalalabad marschiert war, die Garnison dort evakuiert hatte und jetzt in der Ebene vor Jalalabad gegenüber der afghanischen Streitmacht kampierte; daß die Briten in Kandahar jeden afghanischen Einwohner ausgewiesen hatten, weil die Situation dort so bedrohlich geworden war; daß die Afghanen sich hinter Kandahar zurückgezogen hatten und es massiv angriffen. Gute und schlechte Nachrichten wechselten sich ab, und entsprechend schwankte die Stimmung. Sie beobachtete von ihrem Fenster aus, wie die Geiseln mit ihren Kindern Himmel-und-Hölle und Blindekuh spielten. An Sonntagen hörte sie den Gottesdiensten zu, die standhaft abgehalten wurden, hörte die Kirchenlieder und die Psalmen und die Gebete, die durch die Mauern ihres Gefängnisses hindurch ins Freie gelangten. Und sie sehnte sich danach, ein Teil dieser Gemeinschaft zu sein, die durch die erzwungene Nähe, die gemeinsam erfahrene Not jetzt so fest zusammengeschweißt war. Sie wußte, daß die künstliche Schicht der Konventionen, die in einer zivilisierten Gesellschaft üblich war, inzwischen abgerieben war. Sie nahm eine Direktheit der Sprache wahr, die zwischen Damen und Herren unter anderen Umständen undenkbar gewesen wäre. Und sie verbrachte in ihrer Einsamkeit mehr Stunden weinend, als sie jemals irgend jemandem gestehen würde.
    An einem milden Tag Anfang April, als der Frühling das Tal verheißungsvoll überzog, traf die Nachricht ein, Akbar Khan habe eine schwere Niederlage in der Ebene um Jalalabad hinnehmen müssen und sei gezwungen worden sich zurückzuziehen.
    Die Freude der Geiseln schwoll im gleichen Maß an wie die Düsterkeit ihrer Bewacher. Die Erwartung, daß General Sale jetzt frei war, um ihnen zu Hilfe zu kommen, wurde ihr Tagesgespräch, und Annabel gestattete sich den Luxus von Zukunftsmusik. Wenn die Geiseln gerettet würden, würde auch sie befreit werden, es sei denn, Akbar Khan ließe sie vorher fortbringen.
    Hieraus entstand Übermut, und sie beging einen verhängnisvollen Fehler. Kit stellte sich immer so an den Türrahmen, daß sie ihn beim Betreten der Geiselquartiere berühren mußte. Sie sahen einander dabei nie an, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Allein dieser Augenblick der Nähe war ausreichend, um Annabels Gemüt über den Rest des Tages hinwegzuhelfen. Heute jedoch blieb sie vor ihm stehen, hob ihre Augen und sagte zärtlich: »Salaam, Ralston, Huzoor. «
    »Sei gegrüßt, Ayesha«, antwortete er lächelnd und streckte eine Hand aus, um sie zu berühren.
    Ein krummer Dolch schnitt durch die Luft, und Blut quoll aus seiner Hand. Annabel wandte sich ihrem Bewacher mit einem Aufschrei der Empörung zu. Er zog seine Faust zurück, weil einer seiner Kameraden eine Warnung rief. Statt sie zu schlagen ergriff er ihre Handgelenke und riß sie hinter ihrem Rücken so gewaltsam nach oben, daß sie vor Schmerz aufstöhnte. Er trieb sie über den Hof vorwärts, gerade als britische Offiziere aus dem Gebäude traten, den verletzten Kit umringten und sich dann wütend gegen die verbliebenen Wachen wandten, die alle ihre Dolche zogen. Weitere Männer kamen, durch den Lärm herbeigerufen, mit gezogenen Messern und Säbeln in den Hof geeilt. Das Kreischen eines Kindes durchschnitt die milde Luft.
    Annabel, vor Angst

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