Jade-Augen
schon Ayeshas Anwesenheit bei diesem Männerritus Anstoß erregen würde, aber ihre Mißbilligung kam durch den verzerrten Mund deutlich genug zum Ausdruck.
»Ich leiste lediglich unserem Herren Gehorsam«, sagte Ayesha ernst.
Soraya schnaubte. Sie war sich nur allzu bewußt, welch skandalöse Genehmigung Akbar Khan diesem ungewöhnlichen Mitglied seines Zenana gegeben hatte, aber nicht ein Wort der Kritik an dem Sirdar würde über ihre Lippen kommen.
Ayesha legte die Chalvar sowie den Chadri an und wurde auf einmal von einer merkwürdigen Empfindung überfallen. Sie erinnerte sich plötzlich lebhaft daran, wie es sich anfühlte, ein steifes Mieder, Unterröcke, Strümpfe und Strumpfbänder zu tragen, die ausladenden Röcke ihres eigenen Volkes. Es war so, als ob sie auf einmal das Drücken des Fischbeins im Mieder, das sie seit ihrem elften Geburtstag trug, und das sie nach unten ziehende Gewicht der Röcke in der Hitze des indischen Sommers spüren konnte. Wie hatte sie nur je diese Beeinträchtigung ertragen können? Schon der Gedanke an solche Kleider verwandelte den einhüllenden Chardi in ein äußerst freizügiges Gewand. Und er hatte einen weiteren Vorteil, da er nicht nur ihren Körper verbarg. Ihr Gesichtsausdruck war sicher vor allen Beobachtungen verborgen, und sie mußte nicht fürchten, ihre Gefühle zu verraten … etwas wofür sie an der Seite Christopher Ralstons unter den Augen Akbar Khans dankbar sein würde.
Eine breite Bergschulter oberhalb des Passes bildete den Übergang zu einer sandigen Hochebene. Leutnant Ralston und seine Patrouille wurden von der Festung aus von einer schweigenden Gruppe Turbane tragender Bergkrieger geleitet, die auf prachtvollen Badakshani-Streitrössern saßen, große, geschmeidige, anmaßend majestätische Tiere mit wilden Augen und geweiteten Nüstern. Kit, der sie mit unverhohlenem Neid anstarrte, erkannte, daß Abdul Alis Gesichtsausdruck den seinen widerspiegelte.
»Was könnte ein Mann nicht alles auf einem solchen Tier vollbringen?« murmelte der Havildar. »Die britische Kavallerie, mit solchen Pferden versorgt, wäre unschlagbar!«
»Ich glaubte, wir wären es trotzdem«, spottete Kit. »Jedenfalls hat man mir das immer nahegelegt. Sonst wären wir ja nicht hier, oder?«
Abdul Ali räusperte sich, tat jedoch keine weitere Äußerung, da er mit Anstand weder zustimmen noch widersprechen konnte.
»Was ist dieses Buzkashi, Sir?« fragte er nach einer Weile.
»Es heißt Ziegengreifen«, antwortete Kit, der Ayesha dieselbe Frage gestellt hatte, »und es ist eine Mut- und Geschicklichkeitsprobe, nehme ich an. Man muß den Körper einer toten Ziege oder eines Kalbs, während man sich im Sattel befindet, vom Boden aufheben und ihn frei und ungehindert von allen anderen, die dasselbe beabsichtigen, eine Weile umhertragen.« Er zog die Stirn in Falten. Ayesha hatte ihm erklärt, daß diese knappe Beschreibung den wirklichen Gehalt dieses Wettkampfs nicht im mindesten wiedergeben könne, und als er auf die prächtigen Pferde seiner Eskorte blickte, fiel es ihm leicht, ihr das zu glauben.
»Salaamat bashi, Ralston, Huzoor! « Akbar Khan, ebenfalls auf einem Badakshani-Streitroß, welches allerdings noch beeindruckender war als die, die Kit begleiteten, kam über die Ebene auf sie zugaloppiert und begrüßte sie heiter. Der Sirdar war in eine kostbare, an den Säumen mit Pelz bestickte Jacke, in weite, in die Stiefel gesteckte Hosen gekleidet mit einem runden Hut auf dem Kopf. Er zeigte strahlende Augen und eine freundliche Stimmung, doch Kit entdeckte auch eine Unterströmung der Erregung oder Erwartung in seiner Haltung und im Schwung seines Mundes. Der Engländer fand dies keineswegs vertrauenerweckend.
»Mandeh nabashi« ,antwortete er korrekt und bot seinem Gastgeber damit einen höflichen Gruß, in den Abdul Ali und die Sepoys sofort einstimmten.
»Komm, du mußt dich auf dem Hügel dort drüben aufstellen.« Akbar Khan wies mit seiner Gerte in jene Richtung. »Von dort kannst du die Ereignisse am besten verfolgen.«
»Wirst du selbst also ebenfalls beteiligt sein?« erkundigte sich Kit.
»Ja, natürlich. Man hat mir von meinem zwölften Lebensjahr an die Geschicklichkeiten beigebracht, die man als Buzkashi- Spieler haben muß – zum Beispiel, wie man einen beliebigen Gegenstand mit hoher Geschwindigkeit reitend vom Boden aufheben kann. Außerdem pflegte mein Vater ein silbernes Zeichen in der Erde zu befestigen, auf das ich in vollem Galopp
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