Jade-Augen
er Zeit hätte für das dringlichere Problem Annabel.
8. KAPITEL
Eine Stunde später erst erhielt Kit die Genehmigung, in seinen Bungalow zurückzukehren, um sich von seinem Burschen aufwarten zu lassen. In dieser Stunde war Shelton erneut der Befehl erteilt worden, zur Balla Hissar zu marschieren, aber als Kit fortging, brütete Elphinsone noch immer kleinmütig vor sich hin, ob die Entscheidung nicht übereilt gewesen war. Vielleicht sollte er Shelton doch eine Order schicken, seine Truppen anzuhalten und auf weitere Befehle zu warten.
Kit ergriff die Flucht und überließ es dem Adjutanten, mit dem er sich abwechselte, sich durch den Wankelmut zu kämpfen. Er fand Bob und Harley mürrisch vor seiner Schlafzimmertür sitzend.
Bob sprang beim ersten Anblick Kits mit einem innigen »Gott sei Dank!« auf die Beine.
»Warum, was ist denn geschehen?« Kits Augen wanderten besorgt zur verschlossenen Tür. »Annabel geht es doch gut, oder?«
»Soweit ich weiß«, sagte Bob und strich seinen Rock glatt. »Wollte weder den einen noch den anderen von uns zu sich hineinlassen.«
»Ich hab’ versucht, der Miss ’n schönes Frühstückstablett zu bringen«, erklärte Harley, »und sie hat mir gesagt, ich soll sie in Ruhe lassen.« Zwei rote Flecken glühten auf seinen verwitterten, ledrigen Wangen. »Hat mir gedroht, sie würde sich vor mir ausziehn, das hat sie, Sir. Sie können nich’ von mir erwarten, daß ich –«
»Nein … nein, natürlich nicht«, unterbrach Kit ihn hastig und kämpfte den verzweifelten Lachanfall nieder, der in ihm aufsteigen wollte. Er ging ins Wohnzimmer, goß sich einen Brandy ein und spülte ihn mit einem Schluck hinunter.
Bob beobachtete ihn, wie man einen guten Freund mustert, der gerade Amok gelaufen ist. »Mein Bester, weißt du eigentlich, was du tust?«
Kit schüttelte den Kopf und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. »Nicht im mindesten. Ich weiß nur, daß ich sie nicht gehen lassen werde … nicht noch einmal.«
Bob kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Was hast du dir denn vorgestellt, was du mit ihr machen würdest?«
Kit lachte auf. »Lächerlich, ich weiß, aber ich hatte mir überlegt, Lady Sales Schutz für sie zu erbitten … ein verwaistes, entführtes Mädchen aus guter Familie, die nach schauerlichen Erfahrungen in den Schoß ihrer Landsleute zurückkehrt. Ich war mir sicher, daß der alte Drachen diese Aufgabe mit heller Begeisterung übernehmen würde.«
»Ich bin sicher, daß sie das würde, wenn der Schützling einen anderen Charakter hätte«, bemerkte Bob. »Aber solange die Dame ihre augenblickliche Laune aufrechterhält, ist es eine widersinnige Idee.«
»Ich weiß.« Kit stärkte sich mit einem weiteren Brandy. »Ich sollte besser gehen und die Dinge klären.«
»Ja, ich glaube, das wäre das Beste«, stimmte Bob zu. »Und ich sollte mich jetzt zum Dienst melden. Was unternimmt Elphinstone wegen des Aufstands?«
»Du lieber Himmel.« Kit stöhnte und hielt an der Tür inne. »Er weiß nicht, was er tun soll. Es gab nichts anderes als Befehle und Gegenbefehle und neue Befehle. Und Macnaghten ist auch nicht viel besser, genauso unentschlossen, obwohl es bei ihm nicht so offensichtlich ist. Wenn Ayesha recht hat, und ich fange langsam an, ihr zu glauben, dann wird keiner von uns frei und ungehindert Afghanistan verlassen.«
»Ayesha?«
»Ich dachte, ich hätte es schon erwähnt: In Akbar Khans Zenana führte Annabel den Namen Ayesha«, erklärte Kit. »Und bei meinem Leben, Bob, ich weiß nicht, ob ich jetzt vor Ayesha oder vor Annabel treten soll.«
»Ayesha«, bestimmte sein Freund. »Damen, die Annabel Spencer heißen, drohen nicht damit, sich vor zwei fremden Männern nackt auszuziehen. Denk nur«, fügte er hinzu, »ich bin nicht einmal sicher, ob die Bewohnerinnen eines Zenana so etwas tun.«
»Diese hier scheint in gar kein vertrautes Schema zu passen.« Kit erinnerte sich daran, wie er ihr das erste Mal begegnet war, und mit der Erinnerung kam die Eingebung. Er würde sich so lange auf ihre Art der Auseinandersetzung einlassen, bis sie dazu bereit war, so mit ihm zu reden, wie sie es seines Wissens konnte und schließlich auch tun würde, sobald sie etwas Abstand gewänne und die Dinge nüchtern betrachtete. Wenn sie erst einmal anfinge, mit ihm zu sprechen, dann konnte er etwas aufzubauen versuchen.
»Ich bin bis heute abend vom Dienst befreit. Halt mich über die Ereignisse auf dem laufenden, ja, Bob?«
»Natürlich. Und ob es hilft
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