Jäger der Macht: Roman (German Edition)
als niedere Mitglieder gelten, bis sie endlich wieder ihre vollen Rechte erlangten.
Ich habe schon früher schwierige Dinge getan, dachte er, jetzt kann ich es wieder tun. Wenn es richtig ist. Ist es richtig?
Steris hatte den Pfad eine einfache Religion genannt. Vielleicht war sie das. Es gab nur eine einzige grundsätzliche Lehre: Tu mehr Gutes als Schädliches. Natürlich existierten noch andere Aspekte: zum Beispiel die Überzeugung, dass jeder Glaube wichtig war, und die Verpflichtung, mehr zu geben, als man nahm. In den Worten der Gründung waren über dreihundert Beispiele für Religionen verzeichnet, die es geben könnte. Die es vielleicht sogar einmal gegeben hatte. Zu anderen Zeiten, in anderen Welten.
Der Pfad hielt dazu an, sie zu studieren und aus ihren moralischen Grundsätzen zu lernen. Einige wenige Regeln waren dabei entscheidend. Man durfte keine Lust ohne Hingabe suchen. Man musste die Kraft in allem Makel sehen. Man sollte fünfzehn Minuten am Tag beten und meditieren. Und man durfte keine Zeit damit verschwenden, dem Einträchtigen zu huldigen. Die Huldigung bestand ausschließlich darin, Gutes zu tun.
Waxillium war zum Pfad bekehrt worden, kurz nachdem er Elantel verlassen hatte. Er war noch immer davon überzeugt, dass die Frau, die er damals im Zug kennengelernt hatte, eine der Gesichtslosen Unsterblichen gewesen sein musste – eine der Hände des Einträchtigen. Sie hatte ihm seinen Ohrring gegeben; jeder Pfader trug einen, während er betete.
Doch Waxillium hatte keineswegs den Eindruck, dass er etwas Nützliches tat. Essen und Kontobücher, Verträge und Unterhandlungen – er wusste schon, dass all das wichtig war. Aber es war abstrakt – genau wie seine Stimme im Senat. Es war nicht damit vergleichbar, einen Mörder hinter Gitter zu bringen oder ein entführtes Kind zu retten. In seiner Jugend hatte er zwei Jahrzehnte in der Stadt gelebt – im kulturellen, wissenschaftlichen und fortschrittlichen Zentrum der Welt. Aber er hatte sich selbst erst gefunden, nachdem er die Stadt verlassen und das staubige, unfruchtbare Land hinter den Bergen durchstreift hatte.
Benutze deine Talente, schien etwas in ihm zu flüstern. Du wirst es herausfinden.
Darüber lächelte er wehmütig. Er fragte sich, warum der Einträchtige nicht genauere Antworten gab, wenn er tatsächlich zuhörte. Oftmals erhielt Waxillium aus diesen Gebeten nichts als ein Gefühl der Ermutigung. Mach weiter. Es ist nicht so schwierig, wie du glaubst. Gib nicht auf.
Er seufzte, schloss kurz die Augen und verlor sich in seinen Gedanken. Andere Religionen hatten ihre Zeremonien und ihre Zusammenkünfte. Nicht aber die Pfader. In gewisser Weise machte es diese Einfachheit noch schwieriger, dem Pfad zu folgen. Alle Deutungen wurden dem eigenen Bewusstsein überlassen.
Nachdem er eine Weile meditiert hatte, erhielt er unwillkürlich den Eindruck, dass der Einträchtige ihn dazu drängte, sowohl den Fall der Verschwinder zu untersuchen als auch ein guter Herr seines Hauses zu sein. Schloss das eine das andere aus? Tillaume schien es zu glauben.
Waxillium warf zunächst einen Blick auf den Stapel der Flugblätter und Zeitungen und dann auf die Staffelei mit dem Blatt Papier. Er griff in die Tasche und holte die Kugel hervor, die Wayne ihm überlassen hatte.
Gegen seinen Willen sah er Lessie vor seinem geistigen Auge. Er sah, wie ihr Kopf zurückgeschleudert wurde und Blut in die Luft spritzte. Blut, das ihr schönes braunes Haar bedeckte. Blut auf dem Boden, an den Wänden, auf dem Mörder, der hinter ihr stand. Aber es war nicht dieser Mörder gewesen, der sie erschossen hatte.
O Einträchtiger, dachte er, hob eine Hand an den Kopf und setzte sich mit dem Rücken zur Wand. Es geht um sie, nicht wahr? Ich kann es nicht noch einmal tun. Nicht noch einmal.
Er ließ die Kugel fallen und nahm seinen Ohrring ab. Er stand auf, ging zu den Flugblättern hinüber, legte sie zusammen und klappte den Zeichenblock zu. Noch hatten die Verschwinder niemandem etwas zuleide getan. Sie raubten Leute aus, aber sie verletzten sie nicht. Es gab nicht einmal einen Beweis dafür, dass sich die Geiseln in Gefahr befanden. Vermutlich würden sie freigelassen werden, sobald Lösegeld für sie bezahlt worden war.
Waxillium setzte sich und arbeitete stattdessen wieder an seinen Kontobüchern. Er ließ es zu, dass sie seine Aufmerksamkeit bis tief in die Nacht hinein beanspruchten.
Kapitel 4
B ei den Unterarmen des Einträch t igen«, murmelte
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