Jäger der Schatten
Erklärung, an einer anderen wieder auftauchte. Lieber Gott, sag mir nich t …
Die Kamera fing noch mehr Vampir-Tricks ein. Die dummen Junior-Mitglieder protzten geradezu damit. Einer hob das Klavier mit einer Hand hoch, ein anderer hüllte sich in Nebel. Es war die ganz gewöhnliche kindische Ausgelassenheit, die die jungen Vampire erfasste, wenn die Verwandlung ihnen plötzlich ungeahnte Kräfte verlieh.
Mimis Magen verkrampfte sich. Wer zur Hölle hatte sie gefilmt? Blue-Blood-Partys waren immer äußerst streng abgeschirmt. Nur Vampire und menschliche Vertraute oder Menschen, die bald zu Vertrauten werden würden, hatten Zugang. So waren die Vorschriften. Dieses Video war ein Verstoß gegen den Kodex. Es war eine Bloßstellung . Und es stand im Internet. Jeder konnte es sehen. Mimi spürte, wie sich ihr die Haare im Nacken aufstellten.
Die Szene wurde weggeblendet und Wörter erschienen auf dem Bildschirm.
Vampire gibt es wirklich.
Macht eure Augen auf.
Sie sind überall.
Glaubt nicht den Lügen,
die sie erzählen.
Die Mätresse lebt!
Wer? Was? Mimi versuchte noch immer zu verdauen, was sie gerade gelesen hatte, als sich der Bildschirm noch einmal veränderte. Ein anderes Zimmer wurde gezeigt, doch diesmal war das Mädchen gefesselt. Es trug eine Augenbinde, hatte einen Knebel im Mund und war kaum wiederzuerkennen. Mimi war sich sicher, dass das ein Venatorenseil war.
Was ging hier vor? Was zur Hölle war passiert? Wer war dieses Mädchen?
Der Bildschirm wurde schwarz und ein neuer Text tauchte auf.
Am Abend des Halbmondschattens
seht ihr den Vampir brenne n …
Ein Streichholz wurde angezündet, ein Feuer loderte auf und füllte den gesamten Bildschirm aus. Rauchende schwarze Flammen tanzten um einen tiefschwarzen Mittelpunkt. Das schwarze Feuer der Hölle.
Mimi schaltete den Computer aus und knallte den Deckel des Laptops zu. Sie zitterte.
Das konnte nur ein übler Scherz sein, oder? Jemand auf der Party hatte beschlossen, ein lustiges Video zu drehen. Das war alles. Es musste einfach so sein. Jamie Kip und Bryce Cutting hatten das bestimmt zusammen ausgeheckt, um ihr einen Schrecken einzujagen. Die beiden konnten sich wahrscheinlich einfach nicht damit abfinden, dass sie die neue Vorsitzende des Ältestenrats war.
Trotzdem bekam Mimi in dieser Nacht kaum ein Auge zu. Sie wünschte, sie könnte das Ganze einfach vergessen, es aus ihrem Gedächtnis löschen und wie jeder normale Jugendliche dazu zurückkehren, ihre Online-Freunde zu zählen.
Aber sie konnte es nicht. Sie war die Anführerin. Sie war verantwortlich für die Sicherheit eines jeden Vampirs. Sie sah nicht einfach tatenlos dabei zu, wie sie einen von ihnen verlor. Auf keinen Fall. Nicht in diesen Zeiten. Nicht nach Charles’ blindem Leugnen der Existenz der Silver Bloods und Forsyths Verrat am Ältestenrat. Was auch immer das gewesen wa r – ein neuer Angriff der Silver Bloods oder etwas völlig andere s – sie musste sich dem stellen. Etwas dagegen unternehmen. Dieses Video war absichtlich an sie geschickt worden.
16
Die Verschwörung
D er 60-Zoll-Monitor an der Wand zeigte eine Aufnahme aus dem Video: das vor Angst verzerrte Gesicht des Vampirmädchens. Es war Montagmorgen und Mimi sah über den Tisch des Konferenzsaals, um sicherzugehen, dass jeder dieses Bild verinnerlicht hatte. Sie hatte ihren Unterricht dafür sausen lassen, und sogar Trinity hatte keine Einwände gehabt. Im Moment war nichts weniger wichtig, als eine Schulstunde Mandarin.
Um den Tisch herum saßen Mitglieder des Ältestenrat s – die sogenannten Verschwöre r –, die sich um die Beziehungen zwischen Menschen und Vampiren kümmerten und seit jeher falsche Informationen über die Vampire in der Welt verbreiteten. Unter ihnen waren einige Bestsellerautoren, von denen einer die amüsante Idee populär gemacht hatte, dass Vampire wie Rosen in der Sonne dufteten, außerdem Filmproduzenten, die die Aufschlitzen-und-köpfen-Theorie aufrechterhielten und erfolgreiche Horrorfilme in die Kinos brachten. Die meisten von ihnen waren genervt, weil sie wegen einer Notfallsitzung von ihren lukrativen Jobs ferngehalten wurden.
Die Verschwörer hatten sich schon seit Jahren nicht mehr versammelt.
Seymor Corrigan, Ratsmitglied und Vorsitzender dieser Gruppe, räusperte sich und eröffnete die Diskussionsrunde. »Gibt es irgendwelche Ideen, woher das Video stammen könnte?«
»Sieht aus wie eine von deinen Darstellerinnen, Harry«, witzelte Lane Barclay-Fish, der Autor
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