Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)
die sie am Morgen eingedrungen war, stand offen. Sie wusste, dass sie sie geschlossen hatte.
Hinter einem Baumstamm sank sie auf die Knie. Vor etwa einer Stunde hatte Bermann wegen der Durchsuchung in der PD angerufen. Vor einer halben Stunde waren die Breisacher gekommen. Sie hatten kein Bellen gehört, also war der Hund zu diesem Zeitpunkt bereits tot gewesen.
Vielleicht war er längst wieder fort. Vielleicht nicht.
Reingehen oder nicht reingehen?
Sie musste wissen, ob er gefunden hatte, was er gesucht hatte. Ob er auf dem Weg nach Colmar war.
Aber sie hatte Angst. Sie dachte an Eddie, an Haberle, an die Hemmungslosigkeit. Eddie, der geschlagen, gewürgt, am Ende ertränkt worden war. Haberle, bei dem er ein Dutzendmal oder öfter zugestochen hatte.
Die falschen Gedanken.
Sie versuchte es mit den richtigen. Wenn er noch im Haus war, saß er in der Falle. Die Breisacher waren da, Bermann und die Truppe würden bald eintreffen. Sie musste da nicht rein. Sie musste nach Colmar fahren. Colmar war wichtig. Und die Angst war irgendwie auch wichtig. Vielleicht war die Angst eine Ahnung. Nicht reingehen, sagte die Ahnung. Denk an Eddie und Haberle.
Die falschen Gedanken.
Kommt endlich, dachte sie.
Bermann und die anderen kamen nicht.
Sie stand auf, lief zur Hundehütte zurück. Paul Oertel und Simon standen nach wie vor am Tor. Sie hob die Hand, alles in Ordnung, bleibt, wo ihr seid. Oertel rief ihr mit gedämpfter Stimme etwas zu, aber sie verstand ihn nicht. Ohne das Haus aus dem Blick zu lassen, rannte sie zu dem Hund. Er lag auf der Seite, die Flanke blutverschmiert, eine klaffende Schusswunde, aus der noch immer Blut lief. Die Kette hatte sich tief in seinen Hals geschnitten.
Aber er war noch nicht tot. Aus erschöpften, verängstigten Augen starrte er sie an.
Sekundenlang konnte sie sich nicht von den Augen lösen.
Dann zwang sie sich weiter, lief zur Mauer.
Eddie ertränkt, Haberle erstochen, jetzt eine Schusswaffe. Er nahm, was zur Hand war.
Der Stacheldraht auf der Mauer war an einer Stelle durchtrennt worden. Er hatte ein Stück von einem Meter Länge herausgeschnitten.
Sie wandte sich um. Der sterbende Hund zwischen den Bäumen, dahinter das Haus im Sonnenlicht. War er noch da?
Du musst da rein, dachte sie. Aber sie konnte nicht. Wenn er noch da war, musste er sie längst bemerkt haben. Würde da drin auf sie warten.
Kommt endlich.
Sie kamen nicht.
Sie kehrte zu dem Hund zurück. Wieder blieb sie an den Augen hängen. Ein leises, gequältes Jaulen drang aus dem geöffneten Maul. Konsequent sein, dachte sie. Das war es doch, was sie auszeichnete.
Sie hob die Waffe, schoss dem Hund in den Kopf.
Die Bäume schluckten das Echo des Schusses.
Rufe vom Tor, »Bonì!«, Oertels alte Stimme. Simon brüllte »O Gott! O Gott!«.
Aus dem Haus keine Geräusche. Nichts rührte sich.
Ich will da nicht rein.
Sie lief zu der Hundehütte. Oertel hing am Tor, Simon hielt ihn an einem Bein. »Nur der Hund!«, schrie sie und rannte zur Rückseite des Hauses. Sie starrte auf die offen stehende Küchentür, versuchte nachzudenken. Wer in ein Haus einbrach, zog die Tür zu, damit sie ihn nicht verriet. Wenn er das Haus wieder verließ, war es ihm vielleicht gleichgültig, und er ließ sie offen.
Er hatte den Hund liegengelassen. Es war ihm gleichgültig gewesen.
Und wenn sie sich irrte?
Sie wollte da nicht rein. Sie musste nur nach Colmar. Nicht in das Haus.
Langsamer kehrte sie zum Tor zurück. Oertel stand wieder auf dem Boden, sah ihr skeptisch entgegen. Simon rief: »Aber warum hast du denn den Hund erschossen?«
Sie fragte ihn nach dem Stacheldraht auf der anderen Seite des Hauses. Er hatte nicht darauf geachtet. Hatte nach einem Mann Ausschau gehalten, nicht nach Stacheldraht oder einer Stelle zum Rüberklettern.
»Und warum der Hund?«
»Weil er im Sterben lag.«
»Aber wieso lag er denn im Sterben?«
Ohne zu antworten, wandte sie sich dem Haus zu. Und wenn die Ettingers weitere Immobilien besaßen, nicht nur in Colmar?
Sie wählte Alfons Hoffmanns Nummer. Wieder sagte Oertel etwas, wieder hörte sie nicht zu.
»Louise?« Alfons Hoffmanns vertraute Stimme jagte ihr Schauer der Erleichterung über den Rücken.
Nein, bislang nur Colmar und München, mehr hatte er nicht finden können.
Was nichts bedeutete, dachte sie.
Sie musste rein.
Diesmal lief sie auf der anderen Seite um das Haus.
Die Küchentür, auf der Schwelle und dem Steinboden Glasscherben, wie am Morgen. Lautlos durchquerte
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