Jägerin der Nacht 01 - Nightwalker
Themis-Zentrale zurückziehen. Vermutlich erwischten wir nicht alle Naturi, aber mir war schon geholfen, wenn wir sie dezimieren konnten. Und ich bekam hoffentlich die Chance, Rowe zu erledigen.
Danaus nickte entschlossen und marschierte aus der Gasse. Mit etwas Glück war Sadira noch am Leben und hatte keinen Ärger am Hals. Aber darauf wollte ich zu diesem Zeitpunkt nicht wetten. „Mira!" Der Klang von Tristans Stimme hielt mich davon ab, Danaus zu folgen. Der Nachtwandler musste nichts sagen; ich konnte seine Angst deutlich spüren.
„Ich kann nicht gegen sie kämpfen. Ich meine, ich habe noch nie .. " „Ich brauche dich", sagte ich und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Um gegen die Naturi anzutreten, benötigte ich jede erdenkliche Hilfe. Im Moment hatte ich nur Danaus und Tristan. „Im Vergleich zu dem, was sie mit uns anstellen, wenn wir ihnen keinen Einhalt gebieten, ist ein Leben mit Sadira die reinste Gartenparty."
Er wich meinem Blick aus und schaute zu Boden. Ich war drauf und dran, ihn zu verlieren. „Steh mir zur Seite, Tristan!" Ich hielt inne und suchte nach den richtigen Worten. Ich wusste, was ich sagen musste, aber ich brauchte einen Moment, bis ich mich dazu durchringen konnte, es auch auszusprechen. „Wenn du mir jetzt zur Seite stehst, werde ich dir helfen, dich von Sadira zu befreien." Er sah mich misstrauisch an, was ich ihm nicht verdenken konnte. Wir hatten schließlich dieselbe manipulative Schöpferin. „Ich schwöre es! Ich weiß noch nicht wie, aber ich werde dir helfen", beteuerte ich.
Tristan nickte und folgte Danaus aus der Gasse. Ich hätte mich schlagen können! Leise vor mich hinfluchend, ging ich hinter den beiden her. Ich fragte mich, ob Tristan mich gerade manipuliert hatte, aber das war im Grunde auch gleichgültig. Ich brauchte seine Hilfe, und es war gut möglich, dass wir diese kleine Eskapade nicht überlebten, weshalb mein Versprechen eine reichlich hypothetische Angelegenheit war.
Am Eingang der Gasse blieb ich stehen und schaute in den Nachthimmel. In ein paar Stunden setzte bereits die Morgendämmerung ein. Ich spürte sie, wie ein alter Mann den nahenden Regen durch das Ziehen in den Knochen spürte. Vom Moment der Wiedergeburt an können Nachtwandler die Nacht spüren. Wenn die Sonne untergeht, fühle ich, wie sich die Dunkelheit ausbreitet und in alle Ecken und Winkel kriecht. Dann schreitet die Nacht ihrem Höhepunkt entgegen, den sie nur selten genau um Mitternacht findet, und danach flaut sie wieder ab. In diesem zweiten Teil der Nacht spüre ich, wie mir die Zeit knapp wird. Ich sehe sie dahinschwinden wie den Sand in einer Sanduhr.
Und nun, da ich dringend mehr Zeit gebraucht hätte, rann sie mir umso schneller durch die Finger. Ich ballte die Hand zur Faust und unterdrückte einen Fluch auf die Sonne.
Selbst als Unsterbliche war ich eine Sklavin der Zeit.
20
Weniger als zwei Stunden später kauerte ich mit Tristan am Rand eines kleinen Wäldchens nordwestlieh von London. Ringsum waren ein paar Bauernhöfe verstreut, deren Felder und Wiesen mit Holzzäunen und niedrigen Mauern eingefasst waren. Laut Danaus waren wir nicht allzu weit von Stonehenge und weniger als dreißig Minuten von der Themis-Zentrale entfernt. Für einen Juliabend war es ziemlich frisch und feucht; als würde es bald anfangen zu regnen. Tristan schnupperte prüfend, doch sein Geruchssinn, der ihm bei der Jagd gute Dienste leistete, half ihm in Bezug auf die Naturi nicht weiter. Sie rochen nach Erde und nicht nach Moschus und Pheromonen wie andere Lebewesen.
Ich nagte an meiner Unterlippe, während ich mit zusammengekniffenen Augen in den Wald spähte und nicht an Tristans Unerfahrenheit zu denken versuchte. Doch diese Unerfahrenheit war unter meinesgleichen weit verbreitet. Die letzte große Schlacht gegen die Naturi lag fünfhundert Jahre zurück. Seit Machu Picchu hatten wir nur noch untereinander gekämpft, von den gelegentlichen Begegnungen mit Lykanthropen und Magiern einmal abgesehen, die häufig nicht darüber hinausgingen, dass man sich an die Brust schlug und die Zähne fletschte.
„Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe", raunte ich Tristan zu. „Schieß ihnen in den Kopf oder ins Herz. Und wenn sie zu Boden gehen, enthauptest du sie sicherheitshalber noch." Ich schaute auf die Pistole in meiner Hand. Danaus hatte uns beide mit Handfeuerwaffen ausgestattet und uns, als sich herausstellte, dass wir keine Ahnung vom Schießen hatten, rasch in ihrem Gebrauch
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