Jägerin der Nacht 01 - Nightwalker
wollte, vergaß ich immer wieder, wie gut er aussah.
„Weiß ich noch nicht", entgegnete ich. „Bring deine Leute in Sicherheit. Ich kümmere mich darum". „Sie gehen alle in den Keller, und sämtliche verfügbaren Jäger halten da unten Wache", sagte er und folgte mir die Treppe hinunter. „Naturi irgendwo?" „Ich spüre keine."
Danaus wollte gerade noch etwas sagen, als mit einem gewaltigen Krach die Haustür aufflog. Holzsplitter flogen durch die Luft, und ich konnte gerade noch die Arme hochreißen, um mein Gesicht zu schützen. Es hatte keine Vorwarnung gegeben; ich hatte keinen Anstieg von Macht in der Umgebung gespürt. Ich blieb auf der dritten Treppenstufe stehen und wurde von einem kalten Windstoß erfasst. Als ich die Arme langsam sinken ließ, sah ich Jabari über die Schwelle treten, und der Wind flaute wieder ab.
Ich habe Menschen schon häufiger sagen hören, jemand sehe aus wie der Zorn Gottes, doch Jabari sah für meine Begriffe noch viel schlimmer aus. Der Nachtwandler trat mir barbrüstig entgegen, und seine Augen leuchteten in einem bedrohlichen hellen Gelb, wie die Feuer, die ich heraufbeschwören konnte. Seine Wangenknochen schienen deutlicher vorzutreten als sonst, seine Wangen waren eingefallen. Zum ersten Mal, seit ich ihn kennengelernt hatte, sah Jabari aus wie der leibhaftige Tod. Er erinnerte mich an Charon, den Fährmann der Unterwelt. Und ich hatte das Gefühl, dass Jabari tatsächlich gekommen war, um mich ins Jenseits zu befördern.
Ein Teil von mir liebte ihn immer noch, aber allmählich fragte ich mich, wen ich da eigentlich liebte. Die Fragen türmten sich, und der Einzige, dem ich je vertraut hatte, war zur Bedrohung geworden. Während ich ihn anstarrte, ging mir erneut Sadiras Geschichte durch den Kopf, die schmerzliche Zweifel weckte und Enttäuschung und Zorn in mir aufsteigen ließ. Ich hatte selbst erlebt, wie Jabari andere Nachtwandler manipulierte und benutzte, sie wie Schachfiguren herumschob und zur Not auch opferte, um seine Ziele zu erreichen. Doch ich hatte mir eingeredet, dass ich anders war als die anderen, dass dem Alten wirklich an mir lag. Hatte ich mich getäuscht? Würde er mich dem ausliefern, wovor ich mich am meisten fürchtete, um mich in der Hand zu haben? Ja, das würde er.
„Jabari!", rief ich und riss in gespielter Überraschung die Arme hoch. „Wie schön, dass du da bist! Komm doch herein!" Wäre es möglich gewesen, hätte er mich in diesem Moment wohl mit seinem lodernden Blick in Brand gesteckt. Doch ich lächelte ihn nur strahlend an, wobei ich allerdings so fest die Zähne zusammenbiss, dass mir der Kiefer wehtat.
„Du solltest Sadira beschützen", herrschte er mich an, und seine Stimme glich einem Donnergrollen. „Das tue ich auch", entgegnete ich leichthin. Ich hatte nichts mehr zu verlieren und war die ständige Gängelei satt. „Hier?" Er breitete die Arme aus, und im selben Moment explodierte die Hälfte der kleinen Birnen in dem Kronleuchter über unseren Köpfen. Es wurde dunkler, die Schatten kamen aus den Ecken hervor, kletterten die Wände hoch und breiteten sich unter der Decke aus.
„Sie haben uns jahrhundertelang gejagt. Da ist es an der Zeit, dass sie uns auch mal eine Weile beschützen." „Du bist zu weit gegangen!" „Nein, noch nicht", entgegnete ich seufzend. „Aber keine Sorge, das kommt noch." Zu seiner offensichtlichen Überraschung durchquerte ich die Eingangshalle und ging auf ihn zu. „Möchtest du Sadira sehen?" Ich zeigte in den Korridor links des Treppenhauses und bedeutete ihm, mir zu folgen. Er war so von Zorn erfüllt, dass er nur mit einem knappen Nicken reagieren konnte. Ich hatte das Gefühl, er hätte mich am liebsten in der Luft zerrissen.
Ich ging ihm durch den langen, schmalen Korridor voran, ganz gemächlich und locker, als hätte ich nicht die geringsten Sorgen. Was hatte ich denn schon zu befürchten - abgesehen von dem tollwütigen Vampir in meinem Nacken? Die beiden Jäger, die vor der Tür Wache schoben, verschwanden in Richtung Keller, als ich sie mit einer Kopfbewegung anwies, ihren Platz zu räumen. Wir brauchten keine Zuschauer. Bei einem Kampf zwischen Nachtwandlern waren Menschen ohnehin nur Requisiten.
Als ich die Tür öffnete, sah alles noch genauso aus wie zuvor, als ich duschen gegangen war. Sadira thronte wie eine Königin auf ihrem Stuhl. Tristan stand als ihr gehorsamer Diener mit ausdrucksloser Miene hinter ihr, während zwei weitere Jäger Tür und Fenster bewachten.
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