Jägerin der Nacht 01 - Nightwalker
Barrett.
Ich wich seinem Blick aus. Ich wusste nicht, wie weit die Lykos über das Siegel und die Geschehnisse in Machu Picchu informiert waren, aber es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass Nachtwandler mit niemandem außerhalb der eigenen Rasse darüber sprachen. Wenn es um die Naturi ging, standen wir zwar alle auf einer Seite, aber Nachtwandler waren von Natur aus machthungrig, und Wissen war die ergiebigste Quelle der Macht. Wir sagten anderen nicht mehr, als sie unbedingt wissen mussten. Und wie sehr ich Barrett auch respektierte und vertraute - gegen sechshundert Jahre Konditionierung kam ich einfach nicht an.
„Sie wollen zurückkehren", erklärte ich rasch. „Ich sage dir mehr, wenn ich mehr weiß." Die einzige Warnung war ein tiefes Knurren in seiner Brust, bevor er mit der rechten Hand nach mir ausschlug, während aus seinen Fingernägeln urplötzlich lange schwarze Krallen wurden. Ich machte einen Satz nach hinten und stieß mit den Schultern gegen die Wand. Ich war zwar schnell, aber da ich ihm nicht ausweichen konnte, handelte ich mir vier blutige Schrammen ein, die von meinen Rippen bis zum Nabel verliefen. Mein Ledertop verhinderte Schlimmeres, aber mein Bauch war völlig ungeschützt.
Ich wollte Barrett gerade ordentlich zusammenstauchen, als ich sah, wie er seine zitternde Hand anstarrte, an der mein Blut klebte. Dann sah er mich verwirrt an. „T-tut mir leid, Mira. Ich .. ich weiß nicht, wie das passieren konnte", stammelte er mit heiserer Stimme. Seine kupferfarbenen Augen leuchteten, und er musste zweimal blinzeln, bevor das Leuchten wieder daraus verschwand. Mir zog sich der Magen zusammen.
„Barrett?" Ich verspürte unwillkürlich das Bedürfnis, ihn an der Schulter zu fassen, doch ich ließ es lieber, denn ich stand immer noch mit dem Rücken an der Wand; auf Zehenspitzen, weil ich um jeden Zentimeter Abstand zu ihm kämpfte. Es war mir zu gefährlich, mich zu bewegen. „Ich .. ich glaube, sie sind da", sagte er, und seine Augen begannen wieder zu leuchten. Die Naturi waren gekommen, und sie hatten bereits Kontrolle über Barrett, den Anführer des Werwolfrudels von Savannah.
„Scheiße!", zischte ich durch die Zähne.
Als er abermals mit der rechten Hand ausholte, warf ich mich mit meinem ganzen Gewicht gegen seine linke Schulter. Ich ging mit ihm zu Boden, war jedoch sofort wieder auf den Beinen. Mit dem Rücken zur Tür wendete ich mich ihm kampfbereit zu, als er sich aufrappelte und geduckt in Positur ging. Abgesehen von seinen leuchtenden Augen war sein Gesicht völlig ausdruckslos. Er wusste nicht, was er tat. Obwohl ich ihm nahe stand, würde er mich töten, weil es ihm so befohlen wurde.
„Barrett, hörst du mich? Du musst dagegen ankämpfen!", sagte ich eindringlich, während ich überlegte, wie ich ihn bändigen konnte, ohne ihn zu schwer zu verletzen. Abgesehen davon, dass ich nicht um des Tötens willen tötete, brauchte ich ihn lebendig. Er musste sein Rudel vor dem Schlimmsten bewahren.
In diesem Moment hörte ich Kampfgeräusche aus dem Club. Außer dem Türsteher hatte ich nur zwei Werwölfe in der Bar gesehen. Ich konnte nur hoffen, dass Barrett, als er gekommen war, nicht noch mehr mitgebracht hatte, denn ich konnte meine Sinne nicht ausbreiten, weil ich mich auf ihn konzentrieren musste. Mit der Lage im Saal konnte ich mich erst befassen, wenn ich den Alpha im Griff hatte.
Ich sah mich im Raum um und machte eine rasche Bestandsaufnahme: ein Ledersofa, ein Sessel mit dazugehörigem Hocker, eine Bodenlampe, zwei Beistelltische, zwei schmiedeeiserne Wandleuchter. Alles nicht besonders hilfreich, aber ich musste Barrett irgendwie außer Gefecht setzen, damit ich mich um die Naturi im Saal kümmern konnte.
Barrett stürzte sich knurrend auf mich und fuhr seine klauenbewehrten Hände aus. Ich duckte mich und wich ihm aus, und als er ins Leere griff, stieß ich ihn mit einem gezielten Tritt gegen die Wand, um ihn auf Abstand zu halten. Er würde sich nicht komplett verwandeln: Es dauerte zu lange und gab mir die Chance, ihn anzugreifen. Doch auch in seiner menschlichen Gestalt war er alles andere als ein leichter Gegner. Er war extrem schnell und stark.
Er stieß sich von der Wand ab und stürzte sich erneut auf mich. Ich reagierte eine halbe Sekunde zu spät, und schon lag er auf mir und schlug die Zähne in meinen Hals. Als ich den stechenden Schmerz spürte, zog ich schreiend meinen linken Arm unter seinem Körper hervor und boxte ihn in die Seite.
Weitere Kostenlose Bücher