Jägerin der Nacht 01 - Nightwalker
Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, ich hätte es nicht für möglich gehalten. „Nächstes Mal kriege ich dich!", sagte Rowe und deutete drohend mit seinem Schwert auf mich. Dann flitzte er quer über den Friedhof davon und verschwand in der dunklen Straße.
Mir drehte sich beinahe der Magen um, als mein Blick wieder auf die sterbenden Naturi fiel. Erst in diesem Moment spürte ich den ungeheuren Druck der Macht, die über dem Friedhof lag. Es war, als lastete ein gewaltiges Gewicht auf meinem Körper. Ich sah mich suchend um und sah Danaus ein Stück weiter auf dem Boden knien. Er war ganz auf die beiden Naturi konzentriert und hatte eine Hand in ihre Richtung ausgestreckt.
Ich konnte es kaum fassen: Dieser Mann, den ich bedroht und verhöhnt hatte, war dazu in der Lage, das Blut seiner Feinde zum Kochen zu bringen. Völlig perplex und von Ehrfurcht erfüllt, blieb ich noch einen Moment sitzen und beobachtete, wie das brodelnde Naturi-Blut langsam an der Luft abkühlte. Mein Trick war gut, aber seiner war besser. Und was sollte ihn davon abhalten, mich und meinesgleichen auf dieselbe Weise zu vernichten?
12
Als die Naturi aufhörten, sich auf dem Boden zu winden, und nur noch das leise Knacken und Zischen von verschmorenden Knochen und Sehnen zu hören war, ließ Danaus schweißgebadet seine zitternde Hand sinken. Die Macht, die er heraufbeschworen hatte, verließ den Friedhof, und eine kühle Brise strömte herein. Er war ein bisschen blass geworden und sah ziemlich geschafft aus. Diese einzigartige Fähigkeit verlangte ihm offensichtlich einiges ab.
Als er den Kopf hob, sahen wir uns in die Augen und dachten wohl beide das Gleiche: Hatte ich noch die Kraft, ihn zu töten, bevor er mich töten konnte? Wir waren beide erschöpft, aber wenn es ums nackte Überleben ging, hatte jeder von uns noch genug Energie übrig, um den anderen umzubringen. Ich hatte Danaus' Macht schon häufiger gespürt, aber ich wäre niemals auf die Idee gekommen, dass er zu so etwas fähig war. Er konnte Nachtwandler töten, ohne sich ihnen nähern zu müssen. Und trotzdem hatte ich noch nie von so einer einzigartigen Gabe gehört. Hätten wir gewusst, wie gefährlich er war, dann wäre der Jäger natürlich schnell zum Gejagten geworden. Der Konvent hätte Dutzende Vampire auf ihn angesetzt, und wir hätten nicht eher geruht, bis wir ihn vernichtet hätten. Einen solchen Feind konnten wir uns nicht leisten.
Ich weiß nicht, wie lange wir einander anstarrten und darauf warteten, dass der jeweils andere zuerst wegschaute. Die Zeit schien sich auf diesem Friedhof voller Naturi-Leichen bis ins Unendliche auszudehnen. Wir hatten beide schreckliche Kräfte, die von allen um uns gefürchtet wurden.
Jahrhundertelang hatte nur Jabari mich davor bewahrt, vom Konvent vernichtet zu werden. Und nun kannte ich Danaus' Geheimnis. Ein Wort von mir, und die Vampire in aller Welt würden ihn jagen, bis er tot war - wenn er mich nicht zuerst tötete. Dennoch war ich mir nicht sicher, ob ich jemals über das sprechen würde, was gerade geschehen war. Danaus hatte mir das Leben gerettet, ohne den geringsten Grund dafür zu haben. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber nun war ich sogar noch verwirrter als vierundzwanzig Stunden zuvor.
„Wer bist du?", fragte ich mit heiserer Stimme. Allmählich kamen mir meine diversen Schnittverletzungen und Zerrungen wieder ins Bewusstsein, und die Schmerzen drohten mich zu überwältigen. Das Schwert rutschte mir aus den kraftlosen Fingern. Der Wind, der aus der Stadt herüberwehte, trug uns das kräftige Aroma von Gewürzen und intensiven Menschengeruch zu und befreite uns von dem Gestank des Todes, der über dem Friedhof gelegen hatte.
Als Danaus sich auf den Boden setzte, verschmolz er fast vollständig mit dem Schatten des Mausoleums hinter ihm und wurde zu einer dunklen, unheimlichen Silhouette in der Finsternis. Ein Albtraum.
„Ich bin Mitglied einer Organisation namens Themis", erklärte er leise. Er atmete immer noch schwer, und seine Arme zitterten. Auf dem linken Bizeps hatte er eine lange Schnittwunde, und der Arm war blutüberströmt. Beim Anblick des Bluts regte sich etwas in mir, aber nachdem ich gesehen hatte, wozu er imstande war, wollte ich der Versuchung lieber nicht nachgeben. „Zu der auch die Männer gehören, die vor Sonnenuntergang angegriffen haben?" „Seit unserer Abreise hatte ich keine Gelegenheit mehr, ihnen eine Nachricht zukommen zu lassen. Heute konnte ich
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