Jägerin der Nacht 03 - Dawnbreaker
den Stein gemeißelt hatten. Der Jäger fuhr den Wagen auf den kleinen Kiesparkplatz ein paar Hundert Meter vom Fuß des Berges entfernt. Der Begriff „Berg" war natürlich relativ zu verstehen, da wir uns ohnehin schon fast dreitausend Meter über dem Meeresspiegel befanden.
Wie es aussah, war der Wanderweg zu den Ruinen am Gipfel nicht länger als einen halben Kilometer.
„Okay, Mira", begann Stefan und brach damit das Schweigen, das bisher nur vom keuchenden Atem der Menschen unterbrochen worden war. „Da wären wir. Was möchtest du dir hier ansehen?"
Ich drehte mich auf meinem Sitz um und sah nach hinten zu der Naturi, die sich so dicht wie möglich an die Tür quetschte, um so viel Abstand wie möglich von Stefan zu gewinnen. „Cynnia? Hast du mir irgendwas zu sagen?", fragte ich und schenkte dem Nachtwandler einstweilen keine Beachtung. „Nichts. Ich bin hier noch nie gewesen. Mir leuchtet nicht ein, warum man sich besonders um diesen Ort kümmern sollte, außer vielleicht, weil hier eine Menge Energie in der Luft liegt." Was das anging, konnte ich ihr nicht widersprechen. Die Luft schien ganz und gar mit Energie gesättigt, wie bei hoher Luftfeuchtigkeit an einem heißen, schwülen Tag.
Die Energie an diesem Ort war zu einem eigenständigen Wesen geworden, das auf Anerkennung zu pochen schien. Na, diesem Wunsch würde ich gleich entsprechen. „Wir steigen zum Gipfel hoch", zischte ich, angestachelt durch Stefans unverschämten Tonfall. Wenn der Nachtwandler eine herausragende Eigenschaft hatte, dann war es seine Fähigkeit, sofort auf jedermanns wunden Punkt loszugehen, wie eine Zecke. „Die Menschen bleiben hier und bewachen den Transporter." „Mira?" Shellys leise Stimme durchschnitt die Stille im Transporter. „Du bleibst dicht bei Cynnia. Lass sie nicht aus den Augen. Und halte sie von den Ruinen fern, dort könnte sie uns entkommen", befahl ich, mehr an Stefan gerichtet als an Shelly.
Ich ging nicht davon aus, dass Cynnia hier einen tollkühnen Ausbruchsversuch unternehmen würde, nicht, solange sie befürchten musste, dass jeder Naturi, dem sie begegnete, treu zur Führung stand. Im Augenblick war sie in meinem Gewahrsam tatsächlich sicherer. „Bist du dir sicher, dass sie der Aufgabe ..." „Sie ist der Aufgabe gewachsen", fauchte ich und schnitt Stefan damit das Wort ab.
Ohne auf weitere Kommentare oder Einwände zu warten, stieß ich die Tür auf und stieg aus. Ich musste mich in Bewegung setzen. In weniger als einer Stunde würde ein Schwärm Nachtwandler hier eintreffen, um uns abzuholen und uns zur Herberge am Fuß der Ruinen zurückzubringen. Das hier war meine einzige Chance, mir diesen Ort anzusehen. Doch was wäre der schönste Plan ohne einen gelegentlichen Stolperstein?
In dem Moment, als mein Stiefel den kiesbedeckten Boden berührte, gab das Knie unter mir nach. Zum Glück hatte ich immer noch die Finger an der Armstütze im Inneren der Autotür, sodass ich nicht direkt auf den Hintern fiel. Mein Körpergewicht riss die Tür bis zum Anschlag auf und schleuderte mich aus dem Transporter hinaus. Als mein anderer Fuß den Boden berührte, schoss mir eine zweite Kraftwelle durch den Körper, worauf mir ein leises Wimmern entfuhr.
Entschlossen griff ich mit beiden Händen nach der Armstütze und lehnte den Kopf gegen die Tür, während ich darauf wartete, dass das Gefühl abebbte. Ich hatte meine Beine nicht mehr unter Kontrolle. Nach wie vor hingen sie nutzlos wie Nudeln unter mir. Als die Macht der Erde meinen Körper von Kopf bis Fuß brutal durchschüttelte, durchströmte mich Schmerz in gewaltigen, nicht enden wollenden Wellen.
„Mira?" Stefan legte mir die Hand auf die Schulter, und in seiner Frage lag nichts von seiner üblichen unterkühlten Gleichgültigkeit. Ich hatte nicht einmal das Zischen der Schiebetür gehört, als der Nachtwandler aus dem Transporter ausgestiegen war. „Fühlst du es nicht?", würgte ich hervor und brachte mühsam die Zähne auseinander. „Was soll ich fühlen?"
Die Frage verblüffte mich so sehr, dass ich nur die Augen aufreißen konnte. Ich drehte mich mühsam zur Seite und stellte mit einem Blick über die Schulter fest, dass Stefan, offenbar völlig unbeeindruckt, direkt hinter mir stand. Dann hob ich den Kopf und sah, wie Danaus um den Transporter herumkam. Auch er schien nicht das Geringste zu spüren. Die Luft war dermaßen mit Energie gesättigt, dass sie mich förmlich erstickte. Wie konnte das die beiden Männer nur so
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