Jägerin des Herzens
genauso weh.« Als sie ihn verwirrt anblickte, lächelte er freudlos.
»Weißt du wirklich nicht was er für dich empfindet?«
»Nein nein«, sagte sie hastig, »du verstehst nicht wie es mit Derek und mir …«
»Oh, ich verstehe.« Er musterte sie prüfend. »Dann ist es also notwendig, dass du heute Nachmittag alleine gehst.«
Und schon war es soweit dass sie jemandem Rechenschaft über ihr Tun und Lassen ablegen musste. Lily hoffte nur, dass sie ihn nie würde anlügen müssen. »Und vielleicht auch noch am frühen Abend.«
»Ich möchte, dass du einen Stallknecht und zwei berittene Lakaien mitnimmst.«
»Sicher«, erwiderte sie freundlich lächelnd. Es würde ihr nichts ausmachen, in einer geschlossenen Kutsche und mit einer ganzen Armee von Lakaien zu Craven’ s zu fahren. Aber ihr Treffen mit Giuseppe in Covent Garden musste ohne Begleitung stattfinden. Sie würde sich einfach eins von Dereks Pferden ausleihen und sich allein davonschleichen.
Alex blickte sie erfreut und misstrauisch zugleich an, weil sie seiner Bitte so bereitwillig nachkam. »Während du weg bist«, sagte er, »werde ich Lord und Lady Lyon besuchen.«
»Deine Tante und deinen Onkel?«, riet Lily, weil sie schon einmal gehört hatte, dass ihre Mutter die Namen erwähnt hatte.
Er nickte nachdenklich. »Meine Tante ist überaus geachtet und sie ist sehr erfahren in Angelegenheiten, die äußerste Diplomatie erfordern.«
»Glaubst du, sie kann uns helfen, einen Skandal zu vermeiden? Nach unserem Kartenspiel bei Craven’ s, der Szene gestern Abend, Pennys plötzlicher Flucht und unserer überstürzten Heirat?« Sie verzog das Gesicht. »Glaubst du nicht auch, Mylord, dass der Schaden schon längst geschehen ist?«
»Sie wird es bestimmt als Herausforderung betrachten.«
»Wahrscheinlich eher als Katastrophe«, erwiderte Lily, der die Vorstellung gefiel, dass eine Matrone der Gesellschaft versuchte, ihre unverschämten Tollheiten auszubügeln. Unwillkürlich musste sie kichern, was ihnen empörte Blicke von Bankbeamten und Kunden einbrachte, die das würdelose Benehmen des Paares an der grauen Marmorsäule bemerkten.
»Pst«, sagte Alex, der selber grinsen musste. »Benimm dich. Jedes Mal, wenn wir in der Öffentlichkeit zusammen sind, verursachen wir eine Szene.«
»Das habe ich jahrelang allein geschafft«, erwiderte Lily fröhlich. »Aber ich verstehe schon, du bist um deinen Ruf besorgt. Am Ende wirst du mit nichts anderem beschäftigt sein, als mich auf Knien anzuflehen, keine Szene zu machen …«
Sie erstarrte vor Entsetzen, als Alex sich herunterbeugte und sie vor allen Leuten auf den Mund küsste. Der düstere Raum summte vor leisen Ausrufen der Missbilligung und erstauntem Keuchen. Lily versuchte, sich ihm zu entwinden, hochrot vor verlegenem Entsetzen. Er machte jedoch einfach weiter, bis sie vergaß, wo sie waren, und vor Lust erschauerte. Dann hob er den Kopf und lächelte sie an, wobei seine Augen herausfordernd und fröhlich funkelten. Verwirrt starrte Lily ihn an. Plötzlich lachte sie überrascht und bewundernd auf. »Touche«, sagte sie und hob die Hände an ihre geröteten Wangen.
Lily fand Derek in einem der Privatzimmer des Spielpalasts. Er hatte zwei Tische zusammengeschoben und darauf Kontobücher, Bankauszüge, Schuldscheine und Geld aufgehäuft – Stapel von Münzen und dicke Packen Banknoten, die mit weißen Schnüren zusammengehalten wurden. Lily hatte ihm schon einmal dabei zugesehen, wie er mit atemberaubender Geschwindigkeit Geld zählte. Aber heute wirkte er seltsam ungeschickt und ging seine Bestände übertrieben sorgfältig durch. Als Lily näher trat, roch sie den bittersüßen Geruch von Gin. Sie sah ein Glas auf dem Tisch stehen. Er hatte den Gin offenbar verschüttet was das edle Holz der Platte ruinieren würde.
Überrascht musterte sie Derek. Es sah ihm nicht ähnlich, so viel zu trinken, vor allem nicht Gin, den Alkohol der Armen. Er hasste Gin. Er erinnerte ihn an seine Vergangenheit.
»Derek«, sagte sie leise.
Er hob den Kopf. Sein Blick glitt über ihr gelbes Kleid und ihre geröteten Wangen. Er sah aus wie ein erschöpfter junger Sultan. Die harte Bitterkeit in seinem Gesicht war heute besonders deutlich. Lily dachte, dass er möglicherweise abgenommen hätte. Seine Wangenknochen standen scharf hervor. Und er sah seltsam ungepflegt aus. Er hatte seine Krawatte gelockert und seine schwarzen Haare fielen ihm in die Stirn.
»Worthy hat nicht gut für dich gesorgt«, sagte Lily.
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