Jägerin des Herzens
allein regeln. Er wollte sicher nicht von Euch wie ein Kind behandelt werden. Nach allem, was ich beobachtet habe, denken Jungen so.«
»Was wisst Ihr denn schon über Jungen?«, murrte er.
Sie warf ihm einen tadelnden Blick zu. »Es ist nicht Eure Schuld, Raiford, auch wenn Ihr sie gerne auf Euch nehmen möchtet. Ihr habt ein zu großes Gewissen – es ist fast so groß wie Euer Ego.«
»Das hat mir gerade noch gefehlt – eine Lektion von Euch über Gewissen«, sagte er sarkastisch. Aber er blickte sie ohne seine gewöhnliche Empfindlichkeit an, und das blasse Grau seiner Augen verursachte ihr ein seltsames Kribbeln. »Miss Lawson …« Er wies auf den Kartenstapel in ihrer Hand. »Möchtet Ihr noch einmal das Wahrheitsspiel spielen?«
»Warum nicht?« Lächelnd warf Lily zwei weitere Karten zu Boden. »Welche Frage möchtet Ihr mir gerne stellen, Mylord?«
Er blickte sie so eindringlich an, dass Lily das Gefühl hatte, er würde sie berühren. Natürlich tat er das nicht, aber trotzdem machte sich ein warnendes Gefühl in ihr breit … bei Giuseppe hatte sie genau dasselbe empfunden … sie hatte sich bedroht gefühlt … beherrscht.
Alex blickte sie eindringlich an. »Warum hasst Ihr Männer?«
Die Frage war ihm einfach so herausgerutscht. Jedes Wort, das sie gesprochen hatte, jeder feindselige Blick, mit dem sie ihn, ihren Vater, ja sogar Zachary bedachte, hatte seine Neugier entfacht. Sie wahrte Distanz zu allen Männern. Nur bei Henry war es anders. Wahrscheinlich war er noch zu jung, um für Lily eine Bedrohung zu bedeuten. Sein Instinkt sagte ihm, dass Lily in der Vergangenheit etwas zugestoßen sein musste, das sie dazu gebracht hatte, Männer als Feinde zu betrachten.
»Warum ich …« Lily versagte die Stimme, und sie schwieg. Nur Derek war bisher in der Lage gewesen, sie mit wenigen Worten so aus der Fassung zu bringen. Warum fragte er sie so etwas? Er konnte doch gar kein persönliches Interesse an ihren Gefühlen haben. Wahrscheinlich hatte er sie nur danach gefragt, weil er irgendwie gespürt hatte, dass er sie damit verletzen konnte.
Und er hatte Recht … sie hasste Männer, obwohl sie sich das noch nie zuvor klar gemacht hatte. Warum sollte sie Männer wunderbar finden? Ihr Vater hatte sie ignoriert, ihr Verlobter hatte sie sitzenlassen, Giuseppe hatte ihr Vertrauen missbraucht. Männer hatten ihr ihr Kind weggenommen. Selbst ihre Freundschaft mit Derek hatte mit Erpressung begonnen. Der Teufel sollte sie alle holen!
»Ich habe keine Lust mehr, Karten zu spielen«, sagte sie und ließ den Kartenstapel fallen. Dann wandte sie sich rasch um und verließ die Galerie. Alex lief ihr nach und war mit drei langen Schritten bei ihr.
»Miss Lawson …« Er ergriff sie am Arm.
Sie wirbelte herum und schüttelte seine Hand heftig ab. »Fasst mich nicht an!«, zischte sie. »Fasst mich nie wieder an!«
»In Ordnung«, erwiderte er ruhig. »Beruhigt Euch. Ich hatte nicht das Recht zu fragen.«
»Soll das eine Entschuldigung sein?« Ihre Brust hob und senkte sich erregt.
»Ja.« Alex hatte nicht damit gerechnet mit seiner Frage eine wunde Stelle zu berühren. Er sah, dass Lily um Selbstbeherrschung rang. Für gewöhnlich war sie strahlend selbstbewusst aber auf einmal kam sie ihm zerbrechlich vor, eine zarte Frau, die unter einem schrecklichen Druck stand. »Ich hatte nicht das Recht dazu.«
»Da habt Ihr verdammt Recht!« Lily fuhr sich nervös mit den Händen durch die Haare, bis ihre Locken ihr zerzaust in die Stirn hingen. Forschend blickte sie in sein undurchdringliches Gesicht und sprudelte anklagend hervor: »Aber hier ist Eure verdammte Antwort. Ich habe noch nie einen Mann kennen gelernt dem ich vertrauen konnte. Ich kenne keinen so genannten Gentleman, der auch nur das leiseste Verständnis für Aufrichtigkeit oder Mitgefühl besitzt. Ihr rühmt Euch alle gerne Eurer Ehre, aber in Wahrheit …« Sie brach ab.
»Aber in Wahrheit?«, wiederholte Alex, damit sie ihren Satz zu Ende brachte. Wenigstens diesen kleinen Teil des Ganzen wollte er verstehen. 0 Gott, es würde ein Leben lang dauern, bis er sie verstünde.
Lily schüttelte entschlossen den Kopf. Mit einer Willenskraft, die Alex als genauso stark wie seine eigene empfand, drängte sie die Emotionen, die sie zu überschwemmen drohten, weg und lächelte ihn breit an. »Schert Euch zum Teufel, Mylord«, sagte sie leichthin und ließ ihn einfach in der Galerie stehen.
Etwas an diesem Morgen löste bei Lily stechende
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