Jägerin des Herzens
sie ihm versprach, es mit Zinsen zurückzubezahlen. Zu ihrer Überraschung hatte Derek kalt und grausam reagiert und sie schwören lassen, dass sie ihn nie wieder um Geld bitten würde. Es hatte Wochen gedauert bis er sie wieder in Gnaden aufgenommen hatte. Lily verstand nicht warum er so wütend geworden war. Er war nicht geizig, ganz im Gegenteil. Er war in vieler Hinsicht äußerst großzügig – machte ihr Geschenke, sie konnte bei ihm essen und trinken, so viel sie wollte, er half ihr bei der Suche nach Nicole … aber er hatte ihr nie auch nur einen Penny gegeben. Jetzt wagte sie es nicht mehr, ihn darum zu bitten. Sie dachte an einige der reichen alten Männer, die sie kannte, Männer, mit denen sie gespielt und geflirtet hatte und mit denen sie gut befreundet war. Lord Harrington zum Beispiel, mit seinem dicken Bauch, seinem fröhlichen roten Gesicht und seiner gepuderten Perücke. Oder Arthur Longman, ein geachteter Richter. Er sah nicht besonders gut aus – große Nase, kein Kinn, hängende Wangen –, aber er hatte freundliche Augen, und er war ein ehrenhafter Mann. Beide hatten versteckte, höfliche Bemerkungen über ihre Schönheit gemacht. Sie konnte sich einen von ihnen als Beschützer aussuchen. Zweifellos würde sie gut behandelt und großzügig versorgt werden.
Aber es würde ihr Leben für immer ändern. Bestimmte Türen, die ihr noch offen standen, würden dann für immer geschlossen sein. Sie würde eine teure Hure werden – und das auch nur, wenn sie Glück hatte. Ihrer Erfahrung mit Giuseppe nach zu urteilen, würde sie im Bett so unbefriedigend sein, dass niemand sie würde behalten wollen.
Lily trat zu ihrem Pferd und legte die Stim an seinen warmen, staubigen Hals. »Ich bin so müde«, flüsterte sie., Müde und zynisch. Sie hatte so wenig Grund, auf Nicoles Rückkehr zu hoffen. Ihr Leben bestand nur noch darin, Geld zusammenzukratzen. Sie hätte nie so viel Zeit auf Penelope, Zach und Alex Raiford verschwenden dürfen.
Vielleicht hatte es sie Nicole gekostet. Aber wenn sie sich in den vergangenen Wochen nicht so hätte ablenken können, dann hätte sie vielleicht den Verstand verloren.
Es begann leise zu regnen. Lily schloss die Augen, hob den Kopf und ließ das Wasser über ihr Gesicht rinnen.
Plötzlich musste sie daran denken, wie Nicole bei ihrem abendlichen Bad die Entdeckung gemacht hatte, dass man mit Wasser herumspritzen konnte.
»Jetzt sieh mal, was du kannst!«, hatte Lily lachend ausgerufen. »Du spritzt ja deine Mama ganz nass, mein kluges, kleines Entchen! Wasser ist zum Baden da, nicht für den Fußboden …«
Lily wischte sich den Regen und die Tränen aus dem Gesicht und straffte energisch die Schultern. »Es ist nur Geld«, murmelte sie. »Ich habe es ja auch sonst immer zusammenbekommen. Und jetzt werde ich es auch irgendwie beschaffen!«
Die Uhr läutete neunmal. Alex hatte seit fast einer Stunde ununterbrochen darauf gestarrt. Es war eine kitschige Bronzeuhr mit Porzellanrosen und einer Schäferin, die sich scheu nach einem Kavalier umsah, der ihr einen Strauß Blumen entgegenstreckte. Auch sonst war Lilys Schlafzimmer äußerst weiblich – hellgrün bespannte Wände, rosafarbene Seidenvorhänge an den Fenstern, samtgepolsterte Möbel. Was er ansonsten kurz von Lilys Haus gesehen hatte, war ganz anders gewesen – dunkel, üppig und fast männlich. Es kam ihm so vor, als habe sie all ihre Weiblichkeit auf dieses Zimmer konzentriert.
Als der letzte Glockenschlag verklang, öffnete sich die Tür. Der Butler, Burton hatte sie ihn genannt kam herein.
»Guten Morgen, Sir«, sagte Burton ausdruckslos. »Ich hoffe, Ihr habt gut geschlafen?«
Alex blickte ihn finster an. Nachdem Lily gegangen war, hatten lange einsame Stunden vor ihm gelegen. Sonst füllte er immer jeden wachen Augenblick mit Zerstreuungen. Arbeit, Sport gesellschaftliche Verpflichtungen, Trinken, Frauen … auf zahllose Arten hatte er es vermieden, mit seinen Gedanken allein zu sein. Unwissentlich hatte Lily ihn dazu gezwungen, sich mit dem auseinanderzusetzen, wovor er am meisten Angst hatte. In der Stille der Dunkelheit hatte er seinen Erinnerungen, die wie Geier an seinem Herzen nagten, nicht entfliehen können.
Zuerst war er nur im Aufruhr gewesen – Wut Leidenschaft, Bedauern, Trauer. Niemand würde jemals erfahren, was er in diesen einsamen Stunden durchgemacht hatte. Aber irgendwann war der Aufruhr vorüber gewesen, und die Dinge hatten sich geklärt. Er würde nie wieder
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