Jagdfieber
die Luft, während er auf das Schlafzimmer zusteuerte, in dem er schon so viele Stunden verbracht hatte. Er empfand keine Wehmut und keine Gewissensbisse, als er das letzte Mal über den Aubussonteppich schritt. Sie hatten einander nur benutzt, jeder auf seine Weise.
Victor erreichte die Tür und öffnete sie. Da er sich ungewohnt früh hier eingefunden hatte, überraschte er sie in gebeugter Haltung über dem Nachtschränkchen neben dem Bett. Ohne sich seiner Anwesenheit bewusst zu sein, schob sie mithilfe eines Geldscheins zwei helle Spuren auf der Oberfläche zu feinen Linien zusammen und sog dann eine davon geräuschvoll in ihre Nase. Das schniefende Geräusch ekelte ihn an, doch noch vielmehr schockierte ihn die Tatsache, dass Charlotte kokste. Das war ihm neu. Offenbar kannte er sie nicht so gut, wie er das gedacht hatte, und die Möglichkeit, dass sie noch mehr schmutzige Geheimnisse vor ihm verbarg, führte nicht dazu, sich besser zu fühlen. Er räusperte sich.
„Du solltest mit dem Scheiß aufhören, es ruiniert deine Gesundheit“, sagte er laut.
Sie zuckte nicht mal zusammen, sondern saugte in aller Seelenruhe die zweite Kokainspur durch den anderen Nasenflügel ein. Sie zog die Nase hoch, schüttelte sich leicht und befeuchtete anschließend die Kuppe ihres Zeigefingers. Völlig konzentriert und ohne ihm zu antworten, tupfte sie die Reste von der Oberfläche des Nachttisches und verrieb sie auf dem Zahnfleisch. Erst dann drehte sie sich komplett zu ihm um und lächelte ihn an, als wäre es absolut normal, dass er sie bei der Einnahme von Drogen erwischt hatte.
„Victor … ach, das ist doch nur Koks, das nimmt doch jeder“, bagatellisierte sie die Szene. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie herrlich geil das Zeug macht. Du solltest es auch mal versuchen.“ Sie grinste widerwärtig und setzte hinzu: „Das Ficken wird dadurch noch intensiver. Einfach unbeschreiblich.“
„Danke, kein Bedarf“, lehnte er angewidert ab. Er fragte sich immer mehr, was ihn solange bei ihr gehalten hatte. Charlotte war eine verlorene Seele, verdorben und erbärmlich. Aber war er etwa besser? Immerhin hatte er einige Dinge mit ihr durchaus genossen: Die gegenseitigen Demütigungen, mit der sie sich zu übertrumpfen versucht hatten, und den brutalen Sex, der in den letzten Jahren immer aggressivere Züge angenommen hatte. Wie anders hingegen war es mit Paige gewesen. Nicht sanft, keine weichgespülte Begegnung, denn er mochte es hart, doch diese Härte war durchzogen von prickelnder Leidenschaft, die ihm die herrlichste Entspannung verschafft hatte, die er je genossen hatte. Er wollte viel mehr davon. Zum Teufel mit der Vergangenheit. Sich gefühlsmäßig bedeckt zu halten, hatte ihn zu einem mentalen Krüppel gemacht. Es wurde Zeit, dass sein Geist wieder laufen lernte.
Er hörte, wie die oberste Schublade aufgezogen wurde. Charlotte kramte ein kleines durchsichtiges Tütchen hervor, darin befand sich ein schneeweißes Pulver. Dass er gerade erst Nein gesagt hatte, schien sie wenig zu interessieren. Grinsend wog sie das Päckchen in der Handfläche, warf es in die Luft und fing es geschickt wieder auf.
„Bist du sicher, dass du nichts davon abhaben willst? Das ist Weißes Gold, mein Bester. Der beste Stoff, den man für Geld kriegen kann“, erklärte sie, als wäre das etwas, worauf man stolz sein konnte. Dann lockte sie ihn mit dem Zeigefinger zu sich. „Komm her, sei nicht so ein Feigling. Ich zeig dir, wie es geht.“
Es wurde wirklich Zeit diese Farce hier abzubrechen. „Ich habe es ernst gemeint. Dieses Zeug rühr ich nicht an. Ich …“
Sie unterbrach ihn. „Ach, komm schon. Sei doch nicht so ein Spielverderber. Es ist wirklich stimulierend. Ich will, dass du mir das Zeug vor dem Lecken auf meine Muschi streust, und ich verreibe es auf deiner Eichel. Du wirst abgehen wie eine Rakete, das schwöre ich dir.“
Ein enthemmtes Grinsen verzerrte ihre filigranen Züge, ließ sie hart und leblos erscheinen. Zum ersten Mal reichte ihre äußerliche Schönheit nicht aus, um ihr wahres Alter und ihr Wesen zu übertünchen, und er war überrascht, dass ihm ihr Verfall erst jetzt auffiel. Lag es am Koks oder eher daran, dass ein paar Stunden mit Paige ausgereicht hatten, um ihm die Scheuklappen zu nehmen, mit denen er durch die Welt gelaufen war?
„Ich bin nicht hier, um zu vögeln, sondern um mit dir zu reden“, erklärte er mit fester Stimme.
Ihr Lächeln schwand. Ganz langsam, fast wie in Zeitlupe.
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