Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jagdzeit

Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Osborn
Vom Netzwerk:
und schließlich zu den neu sprießenden Städten in den Ebenen des Mittleren Westens gebracht hatte.
    Heute war, dank des Fleißes von Generationen von Bibern, der Wasserspiegel des Sees gestiegen. Der flache, dünne Hals der Halbinsel war verschwunden, wodurch sich das höher gelegene Land der Halbinsel selbst in eine Insel verwandelt hatte, die vom Ufer durch einige hundert Yards schultertiefen Stauwassers getrennt war, ab und zu unterbrochen durch buschige Hügel von Sumpfgras und vereinzelte astlose Baumstämme, die aus dem Wasser ragten, wie die einsamen Maste verlassener, gesunkener Schiffe.
    Die Mühle selbst war noch sichtbar zwischen den Bäumen, der Ziegelschornstein bröckelte, das derbe Schindeldach war arg durchlöchert und bedeckt von dunklen Moosflecken, die Holzbeplankung der Wände war silbrig zerfasert von Jahrzehnten nördlichen Frosts und kurzer brennender Sonnenhitze im Juli und August.
    Und nicht weit davon, vom See nur durch eine vom Unterholz befreite Lichtung getrennt, stand Kens, Gregs und Arts Jagdhütte.
    Martin sah sie zuerst, als sie den See hinauffuhren, der jetzt eine spiegelglatte violette Fläche unter einem nur wenig helleren Himmel war, auf welchem die letzten tastenden Lichtfinger eines nördlichen Sonnenuntergangs schnell verblassten.
    Er stubste Nancy. Vor Kälte zitternd, schaute sie verstohlen hin. Ihre halb geschlossenen Augen streiften kurz den See und verweilten auf dem dunklen Felsgestein des Ufers, den überhängenden immergrünen Bäumen und dem dichten Gesträuch, das hie und da durch den silbrigen Stamm eines vor langer Zeit umgestürzten Baumes unterbrochen wurde, der durch Zeit, Eis und Seewasser krumm und knorrig geworden war.
    Sie sah die Hütte nicht ohne Schwierigkeiten, denn diese passte sich so gut ihrer Umgebung an, dass sie fast eins mit ihr zu sein schien, solide gebaut, mit sorgfältig abgedichteten, hölzernen Außenwänden. Sie hatte ein niedriges, abfallendes Schindeldach, das zum See hin über eine aus breiten Planken gebaute Eingangsterasse vorragte, die einige Fuß über dem Boden lag und über zwei Steinstufen zu erreichen war. Die Fenster, welche die Eingangstür flankierten, waren gegen jegliche Art von Eindringlingen fest mit Läden verschlossen und die Hütte wirkte, obwohl irgendwie einladend, zugleich unheilvoll. Es lag an ihrer völligen Isoliertheit. Während sie sie betrachtete, hatte Nancy das Gefühl, das ein Gefangener hat, wenn sich nach Gerichtsverhandlung und Verurteilung die Zellentür endgültig hinter ihm schließt. Sie hatte eine dunkle Vorahnung, dass gewiss sehr bald ein neuer, noch nie geträumter Alptraum beginnen müsse.
    Ken drosselte seinen Motor. Einen Augenblick später stieß der Gummibug des Schlauchboots sanft knirschend an das Ufer unterhalb der Hütte, das aus feinem Schotter bestand.
    „Home sweet home“, sagte Ken.
    Sie waren vier Stunden lang mit ziemlich hoher Geschwindigkeit auf der Wasserstraße durch den Wald unterwegs gewesen. Vor nur sechs Stunden waren Martin und Nancy gekidnappt worden. Es kam ihnen wie eine Ewigkeit vor.
    Ken war zurückgekommen, nachdem sie Martin wieder eingesammelt hatten, und kurz darauf Art mit dem armen Martin, dessen Augen stumpf waren vor Angst und Hoffnungslosigkeit. Bevor sie die Boote bestiegen, wurde er von Art öffentlich bestraft. Lächelnd erklärte er, dass Kaugummi Martins Adrenalinspiegel wieder heben würde und damit auch seine Stimmung. Er hatte seinen eigenen, gut durchgekauten Klumpen aus dem Mund geholt, ihn Martin zwischen die Zähne gezwängt und ihm befohlen zu sagen, wie gut er ihm schmeckte. Als Martin sich zunächst weigerte, hatte Art ihm den Lauf seiner 35er zwischen die Beine geknallt, woraufhin dieser vor Schmerz zusammenklappte. Dann richtete er den Lauf auf Martins Genitalien.
    „Sag: Es schmeckt gut, Art.“
    „Es schmeckt gut.“
    „Art.“
    „Art.“
    Martin fing an, wie ein Kind zu weinen.
    „Kau.“ Ein scharfer Gewehrstoß. Martin schrie und kaute.
    Und Nancy würde nie ihr eigenes, geringeres Elend vergessen. Geringer, aber trotzdem eine Qual. Als die erschöpfende Arbeit des Beladens der Schlauchboote beendet war, wurden sie und Martin in das Boot gesetzt, das Ken am Motor steuerte. Greg und Art blieben im anderen Boot nahe bei ihnen. Sie fuhren los, und Ken fing an, sie über ihr Privatleben auszufragen. Sanft. So sanft und höflich, dass es manchmal unmöglich war, sich zu erinnern, wer er war. Und gleichzeitig mitleidlos und

Weitere Kostenlose Bücher