Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jahrmarkt der Eitelkeit

Jahrmarkt der Eitelkeit

Titel: Jahrmarkt der Eitelkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Makepeace Thackeray
Vom Netzwerk:
Mutter, die ein Kind wiegte und den Major lächelnd aufforderte, es zu betrachten – ein rotwangiges Mädchen, das singend in das Zimmer am Russell Square kommt oder glücklich und liebevoll an George Osbornes Arm hängt – nur dieses Bild erfüllte den Sinn unseres ehrlichen Majors bei Tag und bei Nacht und beherrschte ihn ständig. Höchstwahrscheinlich glich Amelia gar nicht dem Bild, das der Major von ihr entworfen hatte; in einem Modejournal seiner Schwestern in England gab es ein Bild, das William heimlich herausgerissen und im Deckel seines Koffers eingeklebt hatte. Er bildete sich ein, in dem Druck eine Ähnlichkeit mit Mrs. Osborne zu erblicken. Ich habe dieses Bild gesehen und kann beschwören, daß es nur die Abbildung eines hochtaillierten Kleides war, über dem ein unmögliches Puppengesicht geziert lächelte – und vielleicht ähnelte Mr. Dobbins sentimentale Amelia sowenig der echten wie der lächerliche kleine Druck, den er wie einen Schatz bewahrte. Aber welcher Verliebte ist da besser unterrichtet? Ist er etwa glücklicher, wenn er seine Verblendung einsieht und zugibt? Dobbin stand unter diesem Zauber. Er belästigte seine Freunde und die Öffentlichkeit nicht groß mit seinen Gefühlen und verlor weder sein Wohlbehagen noch den Appetit deswegen. Sein Kopf ist etwas ergraut, seit wir ihn zuletzt gesehen haben, hin und wieder ziehen sich durch das weiche braune Haar ein paar silberne Fäden. Aber seine Gefühle sind nicht im geringsten verändert oder gealtert, seine Liebe ist so frisch geblieben wie die Erinnerungen eines Mannes an seine Kindheit.
    Wir haben erzählt, daß die beiden Miss Dobbin und Amelia, die Korrespondentinnen des Majors in Europa, ihm von England schrieben. Mrs. Osborne gratulierte ihm aufrichtig und herzlich zu seiner bevorstehenden Hochzeit mit Miss O'Dowd.
    Amelia schrieb in ihrem Brief: Ihre Schwester hat mich soeben freundlicherweise besucht und mich von einem,
interessanten Ereignis
unterrichtet, zu dem ich meine
aufrichtigsten Glückwünsche
darbringe. Ich hoffe, daß sich die junge Dame, mit der Sie sich, wie ich höre,
verbinden
wollen, in jeder Hinsicht eines Mannes würdig erweist, der selbst nur Güte und Freundlichkeit ist. Die arme Witwe hat nur ihre Gebete und ihre herzlichsten Wünsche für
Ihr Wohlergehen
zu bieten! Georgy läßt
seinen lieben Patenonkel
grüßen und hofft, daß Sie ihn nicht vergessen werden. Ich habe ihm erzählt, daß Sie im Begriff stehen,
andere Bindungen
einzugehen mit jemandem, der nach meiner Überzeugung Ihre ganze Zuneigung verdient. Aber obgleich solche Bande natürlich die stärksten und heiligsten sein müssen und
alle anderen
verdrängen werden, bin ich doch überzeugt, daß für die Witwe und das Kind, die Sie stets beschützt und geliebt haben, stets ein Plätzchen bleiben wird.
    Der Brief, den wir schon früher erwähnt haben, ging in dieser Tonart weiter und tat von Anfang bis Ende die vollkommene Zufriedenheit der Schreiberin kund.
    Dieser Brief, der mit demselben Schiff ankam, das Lady O'Dowds Kleiderkiste mit Putz aus London brachte (man kann überzeugt sein, daß ihn Dobbin vor allen anderen Paketen, die ihm die Post brachte, öffnete), versetzte den Empfänger in einen solchen Seelenzustand, daß ihm Glorvina und ihr Rosaseidenes und alles, was sie betraf, geradezu verhaßt wurde. Der Major verfluchte das Weibergeschwätz und das ganze Geschlecht. An jenem Tage ärgerte ihn alles – die Parade war unerträglich heiß und langweilig. Gütiger Himmel! Sollte ein Mann von Verstand sein Leben Tag für Tag damit verschwenden, daß er Schulterriemen besichtigte und Narren exerzieren ließ? Das sinnlose Gewäsch der jungen Leute in der Offiziersmesse war ihm mehr zuwider als je. Was kümmerte es ihn, einen Mann nahe der Vierzig, wie viele Schnepfen Leutnant Smith geschossen hatte oder was Fähnrich Browns Stute leistete. Die Witze der Tischrunde erfüllten ihn mit Scham. Er war zu alt, um den Scherzen des Assistenzarztes oder den Gemeinheiten der jungen Leute zuzuhören, über die der kahlköpfige, rotgesichtige alte O'Dowd von Herzen lachte. Der alte Mann hatte diesen Späßen seit dreißig Jahren andauern gelauscht – Dobbin selbst sie fünfzehn Jahre lang gehört. Und nach der geräuschvollen Langeweile der Offizierstafel die Streitigkeiten und Skandale der Damen des Regiments. Es war unerträglich, schändlich! Oh, Amelia, Amelia, dachte er, du, der ich so lange treu geblieben bin – du machst mir Vorwürfe! Nur, weil

Weitere Kostenlose Bücher