Jake Djones und die Huter der Zeit
Eltern (einstmals hochgeschätzte Agenten, die mittlerweile ihren Ruhestand in Cap dâAntibes genossen) gemeinsam mit ihrer verzogenen Tochter in Frankreich aus; bis sich die Wogen schlieÃlich wieder einigermaÃen geglättet hatten und Anfang des neunzehnten Jahrhunderts das vergleichsweise ruhige Zeitalter der Romantik anbrach.
Von da an war es nur noch bergab gegangen. Océane plagte das unerträgliche Gefühl, ein vollkommen durchschnittliches Leben zu führen. Sie sehnte sich nach jenen verschwenderischen Zeiten zurück und war deshalb wild entschlossen, ihr Geburtstagsfest (auch wenn sie nicht sonderlich erpicht darauf war, vierzig zu werden) in einer auf Mont Saint-Michel noch nie da gewesenen Pracht zu feiern.
Den ganzen Morgen über hatte sich ein nicht enden wollender Strom von Händlern vom Festland über die Insel ergossen, um das Festbankett mit ihren Waren zu bereichern: Floristen brachten Pfingstrosen und Rittersporn, Fleischhändler lieferten Fasane und Wachteln, Konditoren hatten feinste Pralinen, Nugat und Kaffee aus Paris im Gepäck.
Normalbürger bekamen das Innere des Schlosses nur selten zu sehen, weshalb die Lieferanten â obwohl sie unablässig recht geschäftig taten â neugierig Augen und Ohren weit offen hielten auf der Suche nach etwas, das sie auf dem Festland weitertratschen konnten. Natürlich wusste keiner von ihnen, was auf der Insel wirklich vor sich ging, dass sie das Hauptquartier des Geheimdienstes der Geschichtshüter war. Sie hielten Mont Saint-Michel für eine Kolonie von Malern und Schriftstellern, was ihrer Neugier aber nicht den geringsten Abbruch tat.
Die Bewohner wiederum taten das Ihre, um keinen Verdacht zu erwecken. Noch am Tag zuvor hatte Norland an alle ein von Jupitus Cole verfasstes Kommuniqué verteilt, in dem es hieÃ, dass sich wegen der Anwesenheit von Einheimischen jeder »ohne Ausnahme« dem frühen sechzehnten Jahrhundert gemäà zu kleiden habe. Und so hatte Signore Gondolfino seine Kostümschneiderei noch vor dem Morgengrauen geöffnet und war seither ununterbrochen auf den Beinen gewesen.
Im Prunksaal überwachte Océane Noire mit Argusaugen die Arbeit der Floristen, ihr Blick so hart und kalt wie die sündhaft teuren Diamanten an ihren Ohren. Als Rose Djones hereinkam, verschlug es ihr den Atem beim Anblick der prächtigen Festdekoration, und sie ging sofort hinüber zu Océane. »Ziemlich prächtig, die ganze Ausstattung und alles«, meinte sie. »Soll auch getanzt werden?«
Océanes Miene verfinsterte sich. »Du hast also vor, auch zu kommen?«
»Sind denn nicht alle eingeladen?«
»Heute Abend herrscht eine strikte Kleiderordnung, falls du es noch nicht gehört haben solltest«, gab Océane steif zurück.
»Ich müsste noch irgendwo das Gewand haben, das Olympe de Gouges mir geliehen hat. Ich hoffe, ich kann mich irgendwie hineinquetschen. Hmm, mit ein bisschen Nadel und Faden vielleicht â¦Â«
»Könnte höchstens passieren, dass du darin aussiehst wie ein Walross und dich entsprechend unwohl fühlst«, gab Océane zu bedenken.
Rose war klug genug, nichts ernst zu nehmen, das aus Océane Noires Mund kam, konnte sich ihrerseits aber eine kleine Stichelei nicht verkneifen. »Dafür, dass du heute deinen Fünfzigsten feierst, hast du dich erstaunlich gut gehalten.«
Océanes Gesicht wurde rot vor Zorn. »Comment?«
»Ich hoffe, ich sehe noch genauso gut aus wie du, wenn ich ein halbes Jahrhundert alt bin.«
»Quarante« , zischte Océane. » Jâai quarante ans! Vierzig.«
»Ach so«, erwiderte Rose und inspizierte die Fältchen im Gesicht ihres Gegenübers. »Dann habe ich mich wohl getäuscht.«
» A vrais dire, je suis très occupée . Ich bin sehr beschäftigt.« Océane drehte sich naserümpfend um und fragte in den Saal hinein: »Wo ist eigentlich Norland? Wir müssen die Speisekarte für heute Abend besprechen, und zwar immédiatement! « Sie versetzte einem Diener, der gerade in der Nähe stand, einen Schlag mit ihrem Fächer und stolzierte hinaus.
Rose verlieà ebenfalls den Saal und stieg die Treppe hinauf. Sie musste sich ernsthafteren Dingen zuwenden. Spät in der vorigen Nacht war Charlies Meslith-Nachricht eingetroffen, dass Jake sich an Bord der Campana geschmuggelt hatte und mit den anderen nach Venedig gereist
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