Jakob der Luegner
Waggons, auf einem von ihnen steht Jakob bei seiner Jontefarbeit und sagt »was zu rauchen müßte man haben«, und Schmidt antwortet ihm fast amüsiert: »Wenn Sie keine anderen Sorgen haben, Herr Heym.«
Leonard Schmidt. Er ist zu diesem Ghetto gekommen wie die Jungfrau zu ihrem Kind, es hat ihn auf Wegen angefallen, von denen er nicht im Traum gedacht hätte, daß sie die seinen sind.
Denn Schmidt hat ein Leben hinter sich, das eigentlich auf der anderen Seite des Zaunes seine Fortsetzung verdient hätte, sein Aufenthalt in unserer Mitte gehört für ihn zum wenigen Unbegreiflichen auf dieser Welt. 1895 einem vermögenden Vater und einer kaisertreuen Mutter in Brandenburg an der Havel geboren, erstklassiges Gymnasium in Berlin besucht, wohin sein Vater zwei Jahre nach Leonards Geburt aus geschäftlichen Gründen (Neuerwerb einer Textilfabrik) gezogen ist, sofort nach bestandenem Abitur Soldat geworden, Flandernoffensive, Verdun, Besetzung der Krim und später Champagne, als Not am Mann war, so hat Schmidt Krieg geführt. Dann ist er in allen Ehren aus der geschlagenen Armee entlassen worden, als stolzer Leutnant und mit Orden für Tapferkeit vor dem Feind und sonst was behangen, und hat sich seinem Fortkommen zugewandt. Das Studium war an der Reihe, wie es sich für gehobene Söhne gehört, das Studium der Rechte in Heidelberg, und die letzten Semester in Berlin. Der Erfolg hätte nicht besser sein können, alle Examina wurden mit Bravour absolviert, die meisten sogar mit Auszeichnung. Drei unabänderliche Referendarjahre sind vergangen, dann die Visitenkarte »Assessor Leonard Schmidt« und schließlich der ersehnte Augenblick, die Eröffnung der eigenen Rechtsanwaltspraxis in vornehmster Gegend. Gute Klienten ließen nicht lange auf sich warten, die Beziehungen des Vaters haben sie einem förmlich zugetrieben, bald hat er zwei junge Anwälte anstellen müssen für die weniger wichtigen Fälle und hat sich zehnmal schneller einen Namen gemacht als mancher andere. Liebesheirat, zwei mittelblonde schöne Töchter, die Welt hat jeden Tag respektvoll vor ihm den Hut gezogen, bis ein Neider aus der Anwaltskammer auf die verhängnisvolle Idee gekommen ist, seinem Stammbaum nachzuforschen, ihn anzusägen und alles ein böses Ende nehmen zu lassen. Die Frau, die beiden Töchter und das Bankguthaben konnten noch in die Schweiz gerettet werden, weil gute Freunde Schmidt gewarnt haben, er selber hat es nicht mehr geschafft. Er war noch mit der Regelung des Allernotwendigsten beschäftigt, als es mit Nachdruck an die Tür geklopft hat. In Schmidts Kopf spukt das Ganze als idiotischer Witz, vielleicht wird man eines Morgens aufwachen, und die Klienten sitzen wieder im Wartezimmer, er war auf dem besten Wege, ein deutscher Nationalist zu werden.
Aber sie haben ihn nicht gelassen, sie haben an die Tür geklopft und ihn aufgefordert, keine Sperenzchen zu machen, entsetztes Dienstmädchengesicht zwischen den mit weißem Tuch bedeckten Plüschsesseln, sie haben ihn hierhergebracht, weil sein Urgroßvater in die Synagoge gegangen ist und seine Eltern dumm genug waren, ihn beschneiden zu lassen, warum wußten sie schon selber nicht mehr. Witz oder kein Witz, er leidet doppelt und dreifach, in den ersten Tagen, als er noch neu bei uns war und eben mit seiner Lebensgeschichte fertig geworden, hat er mich unglücklich gefragt: »Verstehen Sie das?«
Und kurze Zeit später, man konnte, soweit man sich eben mit ihm beschäftigt hat, schon denken, er gewöhnt sich allmählich an das Ghettoleben, kommt er in einem Aufzug auf den Bahnhof, daß uns das Herz vor Überraschung stillsteht.
An seiner linken Brustseite steckt eine Spange, und daran hängt ein kleines Ding, schwarz-weiß, das sich bei näherem Hinsehen als Eisernes Kreuz herausstellt. »Sei gescheit!« sagt ihm einer. »Nimm das Kreuz ab und versteck es! Sie werden dich dafür abknallen wie einen verrückten Hund!«
Aber Schmidt dreht sich von ihm weg und beginnt zu arbeiten, als ob nichts wäre. Wir alle machen einen großen Bogen um ihn, keiner will in die Sache hineingezogen werden, dem ist nicht zu helfen, aus sicherer Entfernung lassen wir ihn nicht aus den Augen. Erst nach einer guten Stunde bemerkt ein Posten die Ungeheuerlichkeit, schluckt ein paarmal, steht stumm vor Schmidt, und Schmidt steht bleich vor ihm.
Der Posten macht nach einer Ewigkeit auf dem Absatz kehrt, es sieht ganz so aus, als hätte es ihm die Sprache verschlagen, er geht in das Steinhaus, kommt
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